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Ottolenghi – der neue Vegetarier

Marke: Ottolenghi Markenmacher: Yotam Ottolenghi, Sami Tamimi, Noam Bar, Cornelia Staeubli

Marke: Ottolenghi

Markenmacher: Yotam Ottolenghi, Sami Tamimi, Noam Bar, Cornelia Staeubli

Yotam Ottolenghis Weg in die Londoner Kochszene führte ihn über ein Philosophie- und Literaturstudium in Tel Aviv in eine Koch- und Patisserieschule und ein paar Restaurantküchen in der britischen Hauptstadt. Danach war er bereit, eine Foodrevolution anzuzetteln.

Das Schaufenster des Flagship-Delis von Yotam Ottolenghi im Londoner Stadtteil Islington erinnert an ein Gemälde von Giuseppe Arcimboldo, dem Maler der Spätrenaissance, der mit Früchten und Gemüsen üppige, farbenfrohe Stilleben schuf. Auf grossen Platten leuchten Köstlichkeiten wie dicke, dunkelgelbe Süsskartoffelspalten gesprenkelt mit goldner Erdnusssauce, rotem Chili, grünem Koriander und Frühlingszwiebeln. Purpurrote Granatapfelkerne thronen über Kresse, Pfefferminz und weissem Labneh-Frischkäse auf einem Bett aus Blutorangen und gold-orangenen Randenschnitzen. Deftige Quiches demonstrieren neben gigantischen Himbeer- und Schokoladenmeringues und Brombeer-Vanille-Cupcakes überquellende Üppigkeit. Im Kontrast zu dieser sinnlich-opulenten Atmosphäre steht das schmale, langezogene Interior. Wände, Gestelle, Tische und die meisten der geschwungenen Verner-Panton-Stühle sind weiss. Was heute zum Erkennungsmerkmal der Ottolenghi-Delis gehört, war ursprünglich anders angedacht: «Ich wollte etwas Rustikales mit Holz und eine lebendige Atmosphäre wie auf einem Markt», erzählt Yotam Ottolenghi. Doch Alex Meitlis, ein befreundeter Architekt, der ihm seit der ersten Stunde bei der Einrichtung der Ottolenghi-Delis hilft, bestand so lange auf einem anderen Look – dem strahlenden Weiss der Häuser der griechischen Inseln – bis er seinen etwas renitenten Klienten überzeugen konnte. «Er hatte recht», blickt Yotam Ottolenghi, dessen Mini-Imperium mittlerweile vier Londonder Deli-Stores und das Restaurant NOPI in Soho umfasst, zurück. «Erst auf dem weissen Hintergrund werden die Gerichte zu einem Statement».

Ästhetik hat bei Ottolenghi eine grosse Bedeutung. Letztendlich geht es mir aber immer ums Essen.

Yotam Ottolenghi sitzt am langen – weiss lackierten! – Gemeinschaftstisch und wirkt erstaunlich ruhig für einen, der es zum international gefeierten Star in der sonst so lärmigen Foodszene gebracht hat.

Seine Gesichtszüge sind fein, seine Manieren ausgezeichnet und die Sitzhaltung, leicht nach vorne gebeugt, ist mehr die eines Intellektuellen als die eines mit scharfen Messern und schweren Pfannen hantierenden Küchenchefs: Als Sohn eines Chemieprofessors und einer Schulleiterin wuchs er in Jerusalem auf, studierte in Tel Aviv Philosophie und Literatur und schrieb sogar eine Dissertation, bevor er den Duft von Büchern mit dem von buttrigem Blätterteig und geschmorten Auberginen tauschte. Der Einfluss der mediterran-orientalischen Küche seiner Heimat ist bei Ottolenghi – er lebt seit 1997 in London – unverkennbar. «Die intensiven Farben, Gewürze, Düfte der Märkte Jerusalems und die Fülle des Angebots haben mich stark geprägt», sagt er. Bekannt ist er aber nicht für schmackhafte levantinische Küche geworden, sondern dafür, aus einfachen Gerichten mit ein paar Handgriffen, ungewohnten Kombinationen, verschwenderischem Einsatz von Gewürzen und viel Sinn für Inszenierung einen ungewöhnlichen, spektakulären Genuss zu machen. Zu Kultstatus haben es etwa seine Auberginen gebracht, die Ottolenghi so lange im Backofen schmoren lässt, bis sie all ihre Aromen hervorgebracht haben, um sie dann mit gewürzter Buttermilchsauce und Granatapfelkernen geschmacklich und visuell zu Knallern zu machen. Mit seinem Talent, Gemüsen Raffinesse zu verleihen, revolutionierte er die vegetarische Küche: Saisonale Gemüse, Hülsenfrüchte, Getreide, Früchte und Käse ‘Ottolenghi-Style’ haben derart tiefen, vielschichtigen und verführerischen Geschmack, dass auch eingefleischte Karnivoren umgehend eine Liebesbeziehung zu Grünzeug entwickeln.

Es ist die totale Abkehr von dem, was man bis anhin unter vegetarischer Küche verstanden hatte: fades, gedämpftes Gemüse, überkochte Pastagerichte und unbeholfene Versuche, mit Tofu Fleischgerichte nachzuahmen.

«Wir wählten den Namen Ottolenghi, weil er mysteriös klingt und anders. Niemand weiss genau, was für ein Name das ist.»

Ottolenghis Erfolg kam mit dieser neuen, lustvollen Art des Vegetarismus – und in Gestalt des Verantwortlichen der Foodredaktion der britschen Zeitung «The Guardian». Sein Redaktionsbüro liegt in der Nähe des Islingtoner Lokals, so dass er begeisterter Stammgast wurde. 2006 bot er Yotam Ottolenghi die Kolumne «The New Vegetarian» an. «Zunächst wollte ich ablehnen, weil ich gar kein Vegetarier bin!», sagt dieser. Gut, dass er es sich doch anders übelegt hatte: Die Kolumne traf einen Nerv, schuf eine Heerschar begeisterter Ottolenghi-Anhänger, die ihn als Popstar der Gemüseküche feierten. Das Kochbuch «Plenty», eine Sammlung der Guardian-Kolumnen, wurde weltweit zum Bestseller. Seine anderen Kochbücher, «Ottolenghi» und «Jerusalem», sind genau so erfolgreich und seine Foodshow auf Channel 4 verhilft ihm zu noch mehr Popularität. «Die Medien haben uns von Anfang an geliebt. Der allererste Beitrag über Ottolenghi erschien gleich in der Vogue», sagt Ottolenghi. «Die richtigen Leute mochten unsere Küche. Das hat uns sehr geholfen.»

Die Grenze zwischen dem Foodshop ‘Ottolenghi’ und dem Brand ‘Ottolenghi’ ist fliessend.

Die akademische Karriere beendete Ottolenghi schnöde mit einem Zettel. Er schickte diesen zusammen mit seiner Dissertation seinen Eltern. Darauf erklärte er, dass er nun ein neues Leben beginnen wollte und zwar in der Kochschule «Le Cordon Bleu» in London. Das war Ende der Neunziger – die Zeit der französischen Restauranttempel, der italienischen Edelrestaurants, in deren Küchen mit genau definierten Kochtechniken gearbeitet wurde – und indische Restaurants und das Enfant Terrible der Londoner Gastroszene Marco Pierre White somit die einzigen, die für Abwechslung sorgten. «Seither hat sich in Londons Küchen viel getan. Das Essen ist um Einiges kreativer geworden», sagt der verfehlte Akademiker. Dazu hat er keinen geringen Beitrag geleistet. Auch wenn sein Start als Kochprofi nicht gerade vielversprechend begann. Ottolenghi – der Name stammt von der italienischen Familie seines Vaters – taugte in normalen Restaurantküchen – «brutal harte Arbeit» – nicht viel und schmiss nach wenigen Wochen seinen ersten Job als Pâtissier im Restaurant «The Capital». Auch im «Launceston Place» und anderen Küchen hielt er nicht lange durch. Erst als er bei der Edelbäckerei «Baker & Spice» anheuerte, fand er eine kulinarische Heimat und einen Komplizen: Er lernte dort seinen heutigen Geschäftspartner Sami Tamimi kennen. Auch er aus Jerusalem – allerdings von der anderen, palästinensichen Seite. «Wir haben eine ähnliche Kochsprache. Wir bereiten unkomplizierte Gerichte aus besten, farbenfrohen und wohlduftenden Zutaten frisch vom Markt zu: einfach, gleichzeitig generös und glamourös.»

Wir haben keine Strategie und keinen Fünfjahresplan. Wir orientieren uns aber strikt an unseren Grundwerten.

2002 mietete Yotam Ottolenghi einen kleinen Laden in Notting Hill. Nach dem Motto «If you can’t get it, make it yourself» machte er daraus den allerersten Ottolenghi-Deli-Store: «Ein wunderschöner Foodshop mit täglich frisch zubereiteten Speisen sollte es werden. So etwas gab es in London damals nicht.» Sami Tamimi fand die Idee, ein gemeinsames Foodbusiness aufzubauen, spannend. Heute ist er verantwortlich für die Küchen der Ottolenghi-Stores, während Yotam Ottolenghi hauptsächlich in seiner Testküche im Stadteil Camden an neuen Rezepten für die Kochbücher und Food-Kolumnen tüftelt und das Gesicht für Ottolenghi ist: Das Unternehmen wird von ihm, Tamimi und zwei anderen Partnern geführt. Die aufgetürmten Speisen von Ottolenghi, die nach Sommer und Levante duften, versetzen die sonst so coolen Londoner seit der Eröffnung in Notting Hill in einen Zustand höchster Verzückung. Der weisse Papiersack mit dem roten, minimalistischen Ottolenghi-Logo ist zum It-Accessoire geworden, Ottolenghi zu einer Art Geheimtipp, den doch alle kennen. Und jeder seriöse Hobbykoch dieser Welt besitzt mindestens eines der Ottolenghi-Kochbücher. Um den Honigtopf schwirren mittlerweile zahlreiche Kooperations-Angebote. Angenommen hat Ottolenghi bisher keine. Einzig einen Online-Versand mit hausgemachten Ottolenghi-Produkten wie Gewürzmischungen, Chutneys und Cookies hat er aufgebaut: «Die Integrität unseres Brands ist unheimlich wichtig. Jedes neue Projekt muss mit unseren Grundwerten übereinstimmen. Sonst setzen wir es nicht um.»

  • Bilder: Reto Caduff
  • Text: Simone Ott
  • Übersetzung: Tessa Pfenninger
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