Kogi BBQ
Marke: Ticketsbar Markenmacher: Albert Adrià
Marke: Ticketsbar
Markenmacher: Albert Adrià
Kleider machen Leute. Das ist selbst bei Katalanen nicht anders. Bevor sich der kleine unscheinbare Mann mit dem Bart, ganz hinten in der Ecke am Computer sitzend, die Kochschürze überzog, hätte man ihn deshalb vermutlich auch eher für einen IT-Supporter gehalten als für einen der begnadetsten Köche der modernen Küche, geschweige denn für den Chef dieses zirkusartigen Lokals an der breiten Avenguda de Parallel 164 in Barcelona. Albert Adrià eröffnete die Ticketsbar gemeinsam mit seinem berühmten Bruder Ferran Adrià.
Tapas gehören seit jeher zur spanischen Esskultur, und um ihre Entstehung ranken sich einige Geschichten.
So soll dem kastilischen König Alfonso X dem Weisen zur Genesung einer Krankheit einst das Trinken von Wein verschrieben worden sein. Um die Nebeneffekte der hochprozentigen Medizin zu minimieren, wurde ihm vom Arzt geraten, zu jedem Schluck Wein auch immer eine kleine Essensration zu sich zu nehmen. Als der König wieder gesund war, soll er ein Gesetz verabschiedet haben, das besagte, dass Wein fortan und von allen nur noch in Begleitung von kleinen Häppchen getrunken werden dürfe. Es sollte die Bevölkerung vor einem Missbrauch von Alkohol bewahren. Und in der sevillischen Grossbourgoisie war es Brauch, in Privatclubs Trinkgläser immer mit einem kleine, flachen Stück Brot, garniert mit einem kleinen Leckerbissen, zu bedecken, so dass auf dem Weg zum Gast kein Staub oder Insekt ins Getränk gelangen konnte. Tapas finden sich in der spanischen Essenskultur überall: sie sind als gesunder Lunch mit Geschäftspartnern genau so beliebt und verbreitet wie als Snack für Zwischendurch oder als Dinner, wenn Freunde und Familie zusammenkommen. Mit der besseren Gesellschaft haben Tapas heute eigentlich gar nichts mehr zu tun - ausser sie werden von jemandem wie Albert Adrià zubereitet, der jahrelang nur für Leute kochte, die sich das Beste vom Besten leisten können. Der Spitzenkoch arbeitete nämlich über 20 Jahre lang an der Seite seines Bruders Ferran Adrià im elBulli an der Cala Montjoi in Roses. Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen, verliess der ältere Bruder Ferran schon früh das elterliche Haus und entdeckte seine grosse Leidenschaft das Kochen. Albert liess sich von der Passion anstecken und folgte seinem Bruder mit nur 15 Jahren ins «elBulli», wo er zwei Jahre lang lernte und schliesslich seine Berufung in der Patisserie fand. Zusammen galten die beiden als Pfeiler des besten Restaurants der Welt: Sie machten es zu einer weltweit bekannten Marke und revolutionierten die gesamte spanische Gastronomie nachhaltig. Dreimal hintereinander wurde das Restaurant zum besten Feinschmeckerlokal der Welt gekürt. Was Albert Adrià in dieser Zeit lernte und kreierte, nahm er mit auf seinen weiteren Weg.
Ich will etwas machen, das allen Menschen zugänglich ist.
Der Spitzenkoch wollte sich auf die traditionelle Küche konzentrieren und verliess das elBulli ein paar Jahre bevor dieses 2011 seine Pforten schloss. Er gründete zunächst das «Inopia», das er nach einigen Jahren aber wieder schloss, um sich nun seinem neuesten Projekt, der Ticketsbar, zu widmen. Dieser Tapas Bar ist mit dem «41°» eine edle Bar angeschlossen, in der ebenfalls kleine Häppchen und exquisite Drinks serviert werden. Seit der Eröffnung sind beide Lokale immer auf durchschnittlich einen Monat im Voraus ausgebucht.
Zum einen ehrt es mich, in solch schwierigen Zeiten in Spanien ein Restaurant zu führen, das seine Gäste auf Wartelisten setzen muss. Andererseits steigt so auch die Erwartungshaltung von allen Seiten, und das kann durchaus belastend sein.
Und das merkt man Albert Adrià auch an. Während des Gesprächs checkt er seine E-Mails, gibt Anweisungen quer durch den Raum, blickt etwas rastlos links und rechts, um dann wieder ein paar Sätze zu sagen, aber immer ein wenig so, als hätte man auch selber auf die Antwort kommen können. Doch schaut man sich in der Ticketsbar um, kann man noch nicht ahnen, was hier aufgetischt wird.
Tapas, ja. Aber mit der eingeschränkten Vorstellung, die man als Nicht-Spitzenkoch von Tapas hat, hat die Speisekarte wenig zu tun. Neben einer reichen Auswahl an Fisch- und Krustentier-Tapas werden Wassermelonenwürfel mit Ingwer, mariniert mit Orangenzeste und Pfefferminze angeboten, Schwertmuscheln, Wachteleier-Avocado-Cannelloni, lauwarmes Tomatenragout oder Kresse, in einer zimmertemperaturwarmen Fischessenz serviert. Albert Adriàs Zeit im elBulli macht sich in den Texturen dieser Tapas bemerkbar. Doch «die beiden Lokale haben vom Konzept her nichts miteinander zu tun», sagt Adrià. «Die Ticketsbar ist preislich zugänglicher, man soll hier eine gute Zeit haben und etwas anderes erleben als überall sonst in Barcelona.» Und wofür genau soll die Marke Ticketsbar denn stehen, welches Erlebnis vermitteln?
Eine Marke entwickelt sich von allein. Sie ist wie ein leeres Buch, dessen Seiten sich mit der Zeit füllen; so sehe ich auch mich selbst. Eine Identität kann nicht entworfen werden, sie muss gelebt werden und entsteht über die Zeit.
Und er fügt an: «Ich würde auch nicht wollen, dass jemand zu mir kommt und sagt: Ich war vor einem Jahr schon mal hier, schön, alles ist noch genau gleich! Das wäre kein Kompliment für mich.» Selbst in den mehr als 20 Jahren im elBulli kam bei Albert Adrià nie Routine auf. «Mein Bruder konnte es sich leisten, das elBulli in den Wintermonaten zu schliessen. In dieser Zeit wurde viel experimentiert, und das brachte uns immer wieder auf neue Ideen.» Genau so wenig wie er Routine mag, mag er Fragen, die über das Kochen hinausgehen. Privates teilt er nur ungern. Er antwortet dann mit Sätzen wie «darüber könnte ich stundenlang erzählen.» Tut er aber nicht. Vielleicht ist seine Art der Kommunikation die natürliche Zurückhaltung eines Mannes, der nichts anderes kennt als den Vortritt seit jeher einem anderen zu lassen. Oder er lässt einfach lieber das Essen für sich sprechen. Die Antwort darauf verliert sich irgendwo im zufriedenen Gemurmel der Gäste und in den schillernden Lichtern über den vielen kleinen Tischen der Ticketsbar.