Kenneth Cobonpue
Marke: Dietiker AG Markenmacher: Nathalie Felber
Marke: Dietiker AG
Markenmacher: Nathalie Felber
Nathalie Felber übernahm nach dem frühen Tod ihres Vaters 2010 das Schweizer Traditionsunternehmen Dietiker AG und führt es seither als CEO. Ihr Vater, Urs Felber, war massgeblich am Erfolg von Marktleadern wie De Sede oder Vitra beteiligt und hatte das Möbelhaus 2001 der Migros abgekauft.
Eine Art Schwingtüren aus Plastik führt bei Dietiker in Stein am Rhein von der einen in die nächste Produktionshalle. Um sie zu öffnen, muss an einem von der Decke hängenden Seil ein paar Meter vor der jeweiligen Tür gezogen werden. Wenn Nathalie Felber das tut, hat das trotz der vorherrschenden industriellen Atmosphäre etwas Elegantes, fast Pompöses.
In ihrem schwarzen Business-Kleid, den hohen Schuhen und mit zügigem Schritt führt sie durch die Hallen und öffnet die Türen, als wären sie Theatervorhänge zu immer wieder neuen Bühnen, die sie nutzt, um die verschiedenen Bereiche des Unternehmens vorzustellen. «Bei Dietiker arbeiten 160 Mitarbeiter, etwa hundert davon in der Produktion», erzählt sie und wechselt von Satz zu Satz zwischen Englisch und Deutsch hin und her, beide Sprachen versehen mit einem charmanten französischen Akzent. In den weitläufigen Hallen des Gebäudes befinden sich unter anderem die Fertigung, das Farblabor, die Polsterei oder die Logistik. Hier werden auch alle Extraanfertigungen für Kunden umgesetzt. Nathalie Felber stellt Heinz Mehr vor, der hier schon über 20 Jahre lang arbeitet und sich auf die Sonderwünsche spezialisiert hat. Gerade ist er dabei, einem alten Stuhl einen neuen Schliff zu verleihen. Nathalie Felber bemerkt: «Viele Leute haben eine Beziehung zu ihrem Lieblingsstuhl. Den will man einfach nicht gegen einen neuen tauschen, sondern vielleicht lieber nur neu bepolstern lassen.» Es würden durchaus auch mal Stuhlbeine gekürzt oder Ecken rund gemacht, aber «immer unter der Prämisse, dass nachher wie vorher alles stimmt», sagt sie bestimmt. Die Qualität dürfe darunter nicht leiden.
Es gibt bestimmte Proportionen, die machen Sinn – andere hingegen nicht.
Auch die Mitarbeitenden im Farblabor sind auf ihren Bereich spezialisiert. Hier mischen sie im eigenen Labor die Farben gemäss der Kundenwünsche. «Viele Spezialanfertigungen werden dann auch seriell hergestellt», erklärt sie. So zählt Dietiker tatsächlich viele Universitäten, Spitäler, Finanzinstitute, Firmen, Versicherungen, öffentliche Institutionen und Restaurants zu ihren Stammkunden. «Grundsätzlich ist es aber schon unser Ziel, dass Mitarbeitende im Unternehmen vielerorts einsetzbar sind und immer wieder auch Neues dazulernen.» Entsprechend finden sich in den anderen Räumen die meisten Arbeitsplätze auf Rädern, so dass sie beliebig in den Räumen umhergerollt werden können, je nachdem, wo und von wem sie zu einer bestimmten Zeit gebraucht werden.
The Felber Collection
Das neue Möbelkonzept von Dietiker entstand basierend auf einem ähnlich praktischen Anspruch. Die 17 Objekte sind modular zusammensetzbar und ermöglichen über tausend Kombinationen von Rahmen, Polstern, Holzmaserungen und Grössen. Gewisse Teile können sogar innerhalb der drei unterschiedlichen Produktekategorien Stühle, Tische und Lounges ausgetauscht werden. «Diese Modularität ist essenziell und zieht sich konstant durch die gesamte neue Kollektion», erklärt Nathalie Felber. Und das nicht nur zugunsten der Privatpersonen, die sich gern kreativ und individuell einrichten: «Auch für Hotels und Restaurants ist es ein enormer Vorteil, wenn Möbel in Einzelteile zerlegbar sind. Wenn ein Teil gewaschen, repariert oder ersetzt werden soll, ist das möglich, ohne gleich das ganze Objekt neu kaufen zu müssen. Das ist nicht nur nachhaltig, sondern vermindert die Angst, Objekte überhaupt richtig zu benutzen.» «Bei Dietiker sind es immer die praktischen Details, die zählen», ruft sie über ihre Schulter zurück, während sie sich entfernt und kurzerhand nach einem Stuhl greift, den sie dann schwungvoll auf einen Stapel anderer Stühle wirft. «You see», lacht sie, «quality is in the details.» Denn jeder Stuhl ist so konzipiert, dass er beim Aufeinanderstapeln nicht direkt mit dem nächsten Stuhl in Berührung kommt, respektive immer nur kleine Pufferflächen aus Kunststoff, die leicht ersetzt werden können. Das Holz und der Rahmen selbst können gar nicht beschädigt werden.
Hundert Fragen, eine Antwort
«Dass alles genau so sein muss, wie es jetzt ist – diese Idee kam mir, als ich eines Morgens aufwachte», verrät Nathalie Felber und räumt aber sogleich ein: «Natürlich beschäftigten mich davor über mehrere Wochen unzählige Fragen.» Wenn sie etwas entwickle, gehe sie zunächst von sich aus, nicht von einem potenziellen Kunden. «Ich frage mich: Was fehlt mir? Was brauche ich?» Doch damit nicht genug: «Etwas, woran ich genauso dachte, war das Ausstellungsszenario. Der Platz für Hersteller im Fachhandel ist extrem begrenzt. Also überlegte ich: Wie kann ich auf möglichst kleinem Raum möglichst viel zeigen?» Die Antwort darauf war dieselbe wie auf diejenige nach dem Idealfall für die Sales Leute: «Sie haben das ganze Package bei sich im Auto. Sie können alles selber zusammensetzen. Vier Rahmen plus Sitz- und Rückflächen in verschiedenen Farben und Materialien.» Das ganze modulare System erschliesse sich jedem, sobald man es selbst in den Händen hatte. «Man muss es anfassen können», sagt sie und kramt nach einem Katalog. «Printmaterial brauchen wir dann eigentlich nur noch, um die Inspiration anzuregen», meint sie. Bevor sie weiterfährt, lässt sie sich einen weiteren Kaffee aus dem Automaten: «Wie kann ich meinen Lagerbestand klein halten? Wie kann ich preislich mithalten? Auch das waren Dinge, die mich beschäftigten, bevor ich die Lösung fand. Und plötzlich war es mir klar: Es muss alles modular sein.»
Wenn wir nochmals 140 Jahre lang bestehen wollen, können wir uns nicht einfach auf dem Bestehenden ausruhen. Wir müssen etwas tun.
Nathalie Felber studierte an der Universität in Tel Aviv Ökonomie und verfügt über ein Executive MBA der Universität St. Gallen sowie der Rotman School of Business in Toronto. «Mein Vater tat Dinge immer sehr unkonventionell», erinnert sie sich. «’I’m Swiss, but not practising» ist etwas, was er immer gern sagte», erzählt sie. «Er war ein richtiger Entertainer. Jeder, der ihn einmal getroffen hatte, erinnerte sich danach an ihn. Manchmal wäre ich auch gern so, aber ich bin anders. Ich bin eine strategische Denkerin.»
In einer unkonventionell denkenden, modernen Familie aufzuwachsen habe aber dazu beigetragen, dass sie sich schon immer traute, anders an Dinge heranzugehen und Bestehendes zu hinterfragen. «Das ist am Anfang für mein Arbeitsumfeld sicher mühsam. Manche mögen sich vielleicht kontrolliert oder bevormundet vorkommen. Aber ich will nur immer genau wissen, was wie gemacht wird. Vielleicht kann man etwas effektiver oder anders machen? Schlussendlich gelangt man nur durch Fragen zu Antworten.» Sie grinst: «Ich glaube, inzwischen haben sich hier alle daran gewöhnt.» Und so bleibt am Ende eigentlich nur eine Frage offen: Warum kam denn niemand früher auf diese Idee? Sie lacht herzhaft. «Ja, das frage ich mich ehrlich gesagt auch!»