Reklus
Marke: Nevin Altmann Markenmacher: Nevin Altmann
Marke: Nevin Altmann
Markenmacher: Nevin Altmann
Es begann alles vor 26 Jahren mit einem Ausflug in die Wüste und der Idee, ein uraltes Handwerk wiederzubeleben und Frauen damit eine Möglichkeit zu geben, finanziell unabhängig zu werden. Heute ist daraus eine Marke geworden, die außergewöhnliches Design, auserlesene Qualität und soziales Engagement verbindet.
Als ihre Tochter neun Monate alt war, fasste Nevin Altmann den Entschluss, nach Siwa zu fahren.
Die Oase liegt im äußersten Westen Ägyptens an der Grenze zu Libyen in der libyschen Wüste. Damals, vor 26 Jahren, war es fast unmöglich, vom Militär eine Genehmigung zu bekommen, um mit einem Geländewagen in diesen Teil Ägyptens zu fahren. Aber Nevin Altmann war fest entschlossen. Sie wollte Siwa, diesen sagenumwobenen Ort, den schon Alexander der Große wegen des Orakels von Siwa besuchte, mit eigenen Augen sehen. Vor allem aber hatten es ihr die Handarbeiten der Siwi angetan. «Ich hatte eine Faszination für ihre Körbe», sagt Nevin Altmann. Sie bekam ihre Genehmigung, doch sie fand niemanden, der sie auf die lange Reise in die Wüste begleiten wollte. Und so packte sie ihre kleine Tochter in einen gut gepolsterten Wäschekorb – Kindersitze gab es damals in Ägypten noch nicht – stellte ihn auf den Beifahrersitz ihres Geländewagens und fuhr los. Ganz alleine.
Die lange Tradition und eigene Handschrift der Siwa-Stickerei
Siwa war damals ein Ort, den die Zivilisation noch nicht eingeholt hatte. Es gab keinen Strom und keine Autos. Alles, was man hören konnte, war das Knarren der Eselskarren und das Zirpen der Grillen. Nevin Altmann stand jeden Tag mit der Sonne auf. Alles roch nach Palmen und frisch gebackenem Brot, und sie saß stundenlang einfach nur da und betrachtete das Treiben um sie herum. «Es war so schön, ich wollte nicht mehr weg.» Die Farben und die Gerüche der Oase ließen sie nicht mehr los. Ebenso wie die Stickereien der Frauen, die sie auf Schals und Tüchern durch die Oase spazieren führten. Die Siwa-Stickerei hat eine sehr lange Tradition und eine ganz eigene Handschrift. Doch als Nevin Altmann zum ersten Mal nach Siwa kam, war davon nicht mehr viel übrig. «In Ägypten ist es in vielen Bereichen so, dass die guten und schönen Dinge der Vergangenheit angehören, sei es nun in der Architektur oder in der Handarbeit», sagt die Designerin. «In Siwa war das genauso.» Es gab zwar noch antike Stickereien, doch die waren sehr teuer und oft zerrissen. Und die modernen waren bei weitem nicht mehr so delikat und qualitativ hochwertig. «Wenn es kommerziell wird, dann werden die Stickereien größer, damit es schneller geht.» Warum, fragte sich Nevin Altmann, konnte es nicht wieder diese alte, wunderschöne Stickerei geben? Mit dieser Frage war eine Idee geboren. «Es war eine Herausforderung für mich», sagt die Deutsch-Ägypterin.
Farben symbolisieren den Reifeprozess der Datteln und Oliven
In ihrem Atelier, das sich in einem imposanten Gebäude aus dem Ende des 19. Jahrhundert im Zentrum Kairos befindet, sitzt Nevin Altmann an ihrem Schreibtisch, zeichnet, näht und experimentiert mit Farben. Alleine in ihrem kleinen Reich kommen ihr die besten Ideen, hier kann sie versinken zwischen den bunten Stoffen und sich inspirieren lassen von den teilweise jahrhundertealten Mustern, die sie zu edlen Produkten verarbeitet. Auf dem Boden liegt heute ein großer, weißer Stoff. Darauf sind viele bunte Troddeln angeordnet, die an die Enden der Schals genäht werden, die am Tag zuvor noch gefärbt wurden. Sie produziert alles betriebsintern, «denn die Qualität ist sonst nicht zu gewährleisten.» Die Troddeln am Boden sind angeordnet nach Farben: Grün, Gelb, Orange und Rot. Sie liegen dort wie die Datteln und Oliven in der Oase Siwa zum Trocknen auf den Feldern ausliegen. «Dies sind die Originalfarben der Siwa-Stickerei», erklärt Nevin Altmann. Die Farben symbolisieren den Reifeprozess, den die Früchte durchlaufen.
Wenn eine Frau zu Dir kommt und nach Arbeit fragt, dann braucht sie diese auch.
Ursprünglich hatte Nevin Altmann gar nicht vor, ihre Idee zu einem Geschäft zu machen. «Ich wollte das nicht für mich machen, sondern ich wollte das Projekt auf die Beine stellen und den Frauen in Siwa überlassen, sobald meine Tochter in die Schule geht und ich mich nicht mehr darum kümmern kann», erzählt Nevin Altmann. Doch dann machte es so viel Spaß mit den Frauen zu arbeiten, die Stoffe zu kaufen, neue Designs und Produkte zu kreieren, dass sie weitermachte. «Es ist immer noch dieses Kribbeln da, wenn die Stickereien der Frauen ankommen und ich die Tüte aufmache», sagt sie. Die Frauen bekommen von ihr die Vorgaben für die Designs, die sie dann zu Hause umsetzen. Auch wenn eine Stickerei nicht für ein Produkt verwendet werden kann, weil die Qualität nicht stimmt, werden die Frauen für ihre Arbeit bezahlt. «Diese Frauen finanzieren oft ihre gesamten Familien», erzählt Nevin Altmann. Deshalb schickt sie auch niemanden weg, viele arbeiten seit den Anfängen bei ihr. «Wenn eine Frau zu Dir kommt und nach Arbeit fragt, dann braucht sie diese auch.»
Jede Handarbeit ist ein Unikat
Jede Stickerei ist anders, jedes Teil ein Unikat.
«Ich erkenne die Handschrift jeder einzelnen Stickerin, wenn ich die Arbeiten auspacke», sagt die Designerin. Mit drei Stickerinnen und drei Designs hat sie vor 25 Jahren in Siwa begonnen. Damals wurde fast die gesamte Produktion dort gemacht. Doch dann wollten immer mehr Frauen in Siwa mitarbeiten und Nevin Altmann musste kreativ werden. Es kamen Beutel, Schals, Kissen, Geldbörsen, Kaftane und Kleider für ihre Puppen hinzu, die sie auch schon seit fast 25 Jahren herstellt – ihre große Leidenschaft. Irgendwann kamen Stofftaschen hinzu, seit etwa fünf Jahren produziert sie auch feine Ledertaschen. Die Produktpalette umfasst heute mehr als 250 Designs. Doch da jede Handarbeit ein Unikat ist, gibt es kein Stück zweimal. Jedes Nevin-Altmann-Produkt ist einzigartig.
Traditionelle Trachten gibt es in jeder Stadt am Nil, in jedem Dorf.
Heute arbeiten über 300 Frauen in ganz Ägypten für die Marke, die Stickereien kommen aus Siwa, dem Sinai, Assuan, Sohag, Assiut, Alexandria, Ismailia und auch Kairo. «Traditionelle Trachten gibt es in jeder Stadt am Nil, in jedem Dorf», sagt Nevin Altmann. Alle arbeiten in ihrem eigenen Tempo, es gibt keinen festen Zeitplan. «Die Frauen arbeiten wie und wann sie können», sagt Nevin Altmann. «Es gibt Sachen, die kommen nach sechs Jahren zurück.» Bezahlt werden die Frauen pro abgeliefertem Stück. In 25 Jahren hat sich Nevin Altmann in Ägypten einen Namen gemacht. Dabei gibt es Nevin Altmann als Marke offiziell noch gar nicht so lang. Früher zierte die Stücke der Designerin kein Schriftzug, der sie als Marke zu erkennen gegeben hätte. Die Leute kauften die Produkte, weil sie gefielen und sie wussten, wer und was dahinter steckt. Erst seit Ende 2011 gibt einen Laden, der ausschließlich Nevin-Altmann-Produkte verkauft und der ihren Namen trägt. Geführt wird er von ihrer Tochter Tamara Altmann. Die 26-jährige, studierte Hotelfachfrau kam vom Studium in Europa nach Ägypten zurück mit unbändiger Energie und der Idee, einen Laden mit den Produkten ihrer Mutter zu eröffnen. «Ich finde ihre Sachen so schön, vor allem seitdem sie vor etwa fünf Jahren begonnen hat, mit Leder zu arbeiten», sagt Tamara Altmann. Eine Strategie hatte sie keine. «Ich wollte es einfach machen und brauchte die Herausforderung.» Mutter und Tochter sehen sich nicht nur sehr ähnlich, sie teilen auch die Liebe zu ägyptischer Handarbeit und wesentliche Eigenschaften wie Leidenschaft und Mut.
Es ist immer noch dieses Kribbeln da, wenn die Stickereien der Frauen ankommen und ich die Tüte aufmache.
Die beiden arbeiten eng zusammen, aber Laden und Design sind trotzdem streng voneinander getrennt. Jede hat ihren eigenen Bereich, für den sie alleine verantwortlich ist. Tamara Altmann bietet seit Ende 2014 Nevin-Altmann-Produkte auch online an und will noch in diesem Jahr einen zweiten Laden eröffnen. Sie hat keine Strategie, aber ein gutes Bauchgefühl. Und die Mutigen werden vom Leben belohnt.