Swiss Miss
Marke: Noritaka Tatehana Markenmacher: Noritaka Tatehana
Marke: Noritaka Tatehana
Markenmacher: Noritaka Tatehana
Schon die Adresse seines Tokioter Studios ist ein Statement. Direkt hinter Herzog & de Meurons berühmtem Prada-Tempel in Eiswürfelform (im hippen Stadtteil Omotesando) wohnt und arbeitet Noritaka Tatehana in einer Klinker-Wohnanlage im Midcentury Stil. Unten im Foyer wartet ein Birkenwald als Wandtapete – oben im zweiten Stock der Designer an seiner Wohnungstür.
Die Warteliste für das Apartment war lang, doch seine zunehmende TV-Präsenz machte wohl Eindruck.
Er kann das Grinsen nicht unterdrücken, als er es erzählt. Noritaka ist erst 28, aber bei solchen Details merkt man: der hat noch viel vor. Momentan ist er vor allem der Mann, der Lady Gaga erst richtig groß gemacht hat – Tatehana hat nämlich ihre berühmten Plattformschuhe erfunden. 60 Zentimeter waren das Höchste, was er ihr je zugedacht hat. Dabei ist er rein äusserlich nicht mal ein Szenetyp. Zumindest keiner von den Lauten: Das Haar zum schlichten Zopf gebunden, blasse Haut, dunkler Bartflaum, Tenorstimme – er erinnert ein wenig an einen jungen Philosophen. Aber bald, jungenhaft lachend, innere Ruhe und die Sicherheit eines erfolgreichen Mannes ausstrahlend, gewinnt er an Charisma. «Meine Arbeit steht bei mir auf gleicher Ebene wie Essen, Schlafen oder Gespräche mit Freunden. Es macht mir alles Freude», sagt er vor seiner beachtlichen Wand mit Kunstbüchern, Totenköpfen, und anderen humorvollen Artefakten.
Rechts von ihm mümmelt Hasendame Juku unbeeindruckt an ihren Salatblättern. Assistentin Sophia, die unser Gespräch dolmetscht und ansonsten seine Korrespondenz erledigt, nimmt an ihrem Schreibtisch links von ihm Platz. Neben ihr in einer Glasvitrine kauern zwei Plüschhasen – offenbar Noritakas Lieblingstiere. Es ist ein herrliches Peter Pan-Idyll.
So ungefähr habe ich mir mein erwachsenes Leben früher als Junge vorgestellt.
Und Sophia erzählt: «Das ist unsere typische Alltagsatmosphäre.» Meist ist noch eine andere junge Frau im Raum, die die Schuhe fertigt. Bei seinen ersten Aufträgen musste er noch jeden Schritt selbst machen – mit den uralten Werkzeugen auf seinem Arbeitstisch, die er weltweit aufkauft, weil sie heute nicht mehr hergestellt werden. Mit 15 machte Noritaka Tatehana die ersten Stiefel für sich selbst, ein derbes Paar im Rangerstil, das heute noch einen Ehrenplatz in seiner Kollektion hat. Schon damals dachte er, dass er seinen Namen zur Marke ausbauen müsste. Und zwar wollte er international als japanischer Designer und Künstler wahrgenommen werden – ähnlich wie Yohji Yamamoto oder Rar Kawakubo von Comme des Garçons, die bewusst auf klassischen japanischen Linien aufbauen. Doch um das zu erreichen, musste er sich erst mal intensiv an der Tokioter Kunsthochschule mit der Geschichte japanischer Kleiderkultur auseinandersetzen und «viel malen, um ein gutes Gefühl für Proportionen und Balance zu bekommen.» Als Hauptfach wählte er die Kunst der Kimonoproduktion unter Verwendung altjapanischer Färbetechniken – und landete damals schon immer wieder bei Plateauschuhen. Vor allem die hohen «Pokkuri» und die «Geta»-Kimono-Clogs der Edo-Zeit (19. Jahrhundert) hatten es ihm angetan. Er experimentierte damit, brachte das Plateau der Clogs nach vorne, den Absatz schnitt er aus. Bis er schließlich als Abschlussarbeit jenes Modell erfand, das ihn berühmt machte: ein pinkfarbener Megaplateau aus geprägtem Rochenleder – futuristisch aussehend, doch voller Bezüge zur japanischen Schuhgeschichte – und angezogen angeblich viel bequemer als man denkt. Als er fertig war, empfahl er sich selbstbewusst in einigen Emails den berühmtesten Stylisten der Welt. Es meldete sich nur ein Kunde, aber das war genau der, auf den er insgeheim abgezielt hatte: Lady Gagas Stylist, Nicola Formichetti. Von da an ging alles ganz schnell. Die Diva konnte gar nicht mehr genug bekommen von seinen Schuhen: «Sie ist wirklich eine lustige, wunderbare Person, aber leider muss alles immer in wenigen Tagen fertig sein.» Was bei handgemachten Schuhen seiner Liga eigentlich gar nicht geht.
Ich sah, was Lady Gaga für meine Karriere bedeuten würde, also arbeitete ich eben Tag und Nacht durch.
Mit Gaga tauchte sein Name erst in den großen Magazinen in New York auf, dann überall auf der Welt. Schließlich kaufte auch noch das New Yorker Fashion Institute of Technology den Schuh seiner Abschlussarbeit 2010 für die permanente Kollektion an. In wenigen Monaten war ihm das gelungen, wofür andere ein Leben lang erfolglos arbeiten: Er war eine Marke geworden. Er lernte Leute kennen, die er schon lange bewundert hatte. Modeikone Daphne Guinness etwa, die er inzwischen als «echte Freundin» bezeichnet.
Sein Englisch ist nicht besonders gut, aber beider Liebe zu genialischer Extravaganz lässt die Freundschaft in Richtung Seelenverwandtschaft gehen. Noritakas eigene Kleidung wirkt unauffällig, doch unterstreicht sie raffiniert sein Selbstbild: teils Künstler, teils Designer, teils Visionär. Heute hat er sich in eine überlange blaue Leinenjacke gehüllt, die dunkelblaue Pumphose dazu stammt von seinem Lieblingslabel Comme des Garçons, in dessen Läden er öfter auch schon Vernissagen hatte – genau wie er auch zunehmend in Museen ausstellt. Seine ikonischen Modelle eignen sich einfach zu gut dazu. Zuletzt zeigte er sie im März in einer Londoner Galerie, in einer Kooperation mit dem Modefotografen Nick Knight und Daphne Guinness. Er erzählt das alles ganz unaufgeregt. So als sei es das Normalste der Welt, dass ein Junge aus der Küstenstadt Kamakura in die höchsten Kreise der Mode und Kunstwelt aufsteigt. Sicher, die Weichen waren nicht schlecht gestellt.
Er kommt aus gutem Hause und hatte eine glückliche Kindheit. Der Vater hatte das alte Badehaus der Familie in Tokio in eine einflussreiche Real Estate Firma verwandelt. Die Mutter unterrichtete die Herstellung von Waldorf-Puppen. Eine von ihnen sitzt heute noch in seinem Bücherregal – und auf seiner Website vermeldet er immer stolz, wenn die Mama eine Ausstellung hat. Unübersehbar, die kreative Handarbeiterin hat ihn geprägt. Doch man möge sich nicht täuschen lassen! Hinter seiner weichen Art steckt eben auch viel Planung und Taktik. Meisterhaft beherrscht er das Selbstmarketing auf Facebook. Und neuerdings gibt er als Dozent an der Universität Kyoto jungen Modestudenten Kurse, wie sie trotz ihrer abstrakten Fächer eine erfolgreiche Karriere aufbauen können.
Das Wichtigste, was ich meinen Studenten vermitteln möchte ist, dass sie anfangen an sich zu glauben.
«Als 18-Jaehriger ist man ja noch so weich und verwundbar», sagt er lächelnd. «Ich will, dass sie anfangen an sich zu glauben.» Seine Botschaft? «Meistens erzähle ich ihnen aus meinem Leben.» Die letzten drei Jahre waren überzeugend genug. Doch er persönlich denkt bereits einen Schritt weiter. Seine nächsten Werke werden nämlich dezidiert für Museen konzipiert sein. Mehr kann er dazu nicht verraten. Nur soviel: Zwischen Kunst und Mode will Noritaka Tatehana seine Marke noch ganz oft neu erfinden.