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Marke: Schmidttakahashi Markenmacher: Eugenie Schmidt, Mariko Takahashi
Marke: Schmidttakahashi
Markenmacher: Eugenie Schmidt, Mariko Takahashi
Ob Proenza Schouler, Viktor & Rolf oder Dolce & Gabbana – dass Designer im Duo arbeiten, erwies sich schon seit jeher als erfolgreiches Konzept. Jüngst bestehen die gestalterischen Paarungen immer häufiger aus zwei Frauen. Gerade in Berlin gibt es viele dieser kreativen Gespanne, die derzeit das Fashionbild prägen: Mongrels in Common, Malaika Raiss, Kaviar Gauche, Perret Schaad und Augustin Teboul sind nur einige davon.
Um in diesem Reigen hervorzustechen, braucht es nicht nur eine eigene Idee, sondern manchmal auch ein Quäntchen Glück. So kam es, dass der Zeitgeist Eugenie Schmidt und Mariko Takahashi, die sich vor zwei Jahren mit ihrem Label selbstständig machten, gut gesinnt war. Mit dem simplen, aber klugen Konzept hinter ihrer Mode katapultierten sie sich selbst mitten in den Megatrend der Nachhaltigkeit, und das ohne Absicht.
Im Berliner Ortsteil Kreuzberg verläuft das Paul-Lincke-Ufer – benannt nach einem Komponisten und Ehrenbürger der Stadt – parallel zum Landwehrkanal. Eine Reihe von Gartenlokalen, Cafés und Restaurants säumt die Strasse, die aufgrund ihrer relativ niedrigen Mieten nicht nur eine beliebte Wohngegend ist, sondern auch den einen oder anderen Hinterhof beherbergt, wo sich das kreative Potenzial der Hauptstadt ein weiteres Ventil sucht. Hier, an der Hausnummer 41, findet sich auch das Studio des Labels Schmidttakahashi, das Altkleidern neues Leben einhaucht. Die beiden Designerinnen kamen über verschiedene Stationen nach Berlin. Eugenie Schmidt wurde in Duschanbe in Tadschikistan geboren. Ihre Familie zog 1990 nach Ulm. Ihre Ausbildung absolvierte sie dann in Berlin. Mariko Takahashi wuchs in Hiroshima auf und wollte nach ihrem Studium der Produktgestaltung in Tokio «einmal etwas völlig anderes machen.» Dieser Wunsch führte sie nach Berlin. Ihr Studium brachte die beiden Frauen 2005 zusammen.
Der Kreislauf der Kleidung
Ihr Arbeitsmaterial bekommen die Designerinnen sozusagen geschenkt.
In eigens gebauten Containern sammeln sie gebrauchte Kleidung. Die Holzcontainer stehen aber nicht irgendwo auf der Strasse, sondern wandern über ausgesuchte Boutiquen, Hochschulen oder Designstudios um die Welt. «Das garantiert eine gewisse Qualität der Ware», sagt Eugenie, während sie den Deckel der Holztruhe hebt. Hier sind Stoffsäcke angebracht, die wiederum mit einem Etikett versehen sind, das man zur Hälfte abtrennt. «Der Kleiderspender behält die eine Hälfte des Etiketts mit einer Nummer, über welche er digital nachsehen kann, was aus seinem Kleidungsstück wurde.» Und umgekehrt funktioniert das Stillen der Neugierde genauso: Kauft man ein neu geschneidertes Objekt des Designer Duos, ist dieses ebenfalls mit einer Nummer versehen, mit welcher sich der komplette Stammbaum eines Kleidungstücks auf der Webseite von Schmidttakahashi nachverfolgen lässt.
Ein neues T-Shirt aus dem Laden ist einfach ein Stück Stoff. Ein getragenes Shirt hingegen erzählt eine ganze Geschichte.
Bevor es zu einer Weiterverarbeitung kommt, wird die gebrauchte Ware gereinigt, fotografiert und nach Farbe und Art sortiert im Archiv – einem randvoll gefüllten Stahlregal – abgelegt. Kleinere Defekte werden beibehalten. «Gebrauchsspuren wie Flecken und Löcher machen ein Kleidungsstück zu einer Art Datenspeicher, der die Momente aus dem Leben des früheren Trägers mit sich bringt», sagt Eugenie. «Das weckt die Fantasie.» Später wird so aus einer alten Manchesterhose, einem Strickpulli und zwei gemusterten T-Shirts also vielleicht eine einzigartige Jacke. Nicht immer bestehen die neuen Kleidungsstücke nur aus gebrauchtem Material, sondern werden ab und an auch um neu fabrizierte Strickbahnen, kleine Details wie Knöpfe und Reissverschlüsse oder um edle Stoffteile ergänzt, um der Kreation den letzten Schliff zu verpassen. Weder Eugenie noch Mariko haben Geschwister, deren Sachen sie auftragen mussten. Aber Mariko meint: «Es tut mir weniger weh, etwas Altes wegzugeben, wenn ich es einem Bekannten schenken kann anstatt es wegzuwerfen. Und im Teenager-Alter tauschten wir andauernd unsere Sachen.»
Die Tradition des Weitergebens hat etwas sehr Schönes an sich.
Und Eugenie erinnert sich an ihre Kindheit: «In der Sowjetunion hatten wir nicht viel und ich bekam oft die Sachen meiner älteren Cousine vererbt.»
Ihre Grossmutter und deren Schwester waren beide Schneiderinnen. Entsprechend schön und liebevoll bestickt war die Kleidung, die sie als Kind erbte. «Es war etwas Besonderes, wenn man so etwas bekommen hat.» Sie überlegt kurz und fährt fort: «Nach mir gab es eine weitere Cousine, der ich meine Sachen weitergab. Und als diese aus ihren Sachen herausgewachsen war, zeigte uns ihre Mutter zu einem viel späteren Zeitpunkt diese Kleider wieder und erzählte von den «Erinnerungen an Annette». Da merkte ich, wie eine innere Stimme einen Besitzanspruch an diese Erinnerungen erhob. «Das ist doch aber eigentlich meine Erinnerung!» dachte ich. «Geschichten und bestimmte Erlebnisse hängen oft an einem Kleidungsstück», findet auch Mariko.
«Wenn ich einen Pulli in Paris gekauft habe, fällt es mir schwer, ihn wegzuwerfen, wenn er nicht mehr passt. Einfach weil mit ihm eine gewisse Zeit verknüpft ist.»
Kleidungsstücke sind ein Speichermedium, und je länger ein Mensch sie trägt, umso mehr verraten sie über seinen Lebensstil.
Es war dieser Gedanke, der die beiden Designerinnen schon während ihres gemeinsamen Studiums an der Kunsthochschule Berlin faszinierte. Und daraus ergab sich für die zwei Kreativen das Fazit, auf dem ihre Marke später basieren sollte.
Aus Versehen nachhaltig
Die Geschichten, die an der Kleidung haften, wollten Eugenie und Mariko wiederverwerten, und die Kleidung am Leben erhalten, indem einzelne Teile wiederverwertet würden. ReClothing oder Upcycling wird das in Fachkreisen genannt. «Die Idee des Recycling und des ökologischen Denkens wurde aber irgendwie mehr von aussen an uns herangetragen. Es war eigentlich nicht etwas, das wir aktiv verfolgten und umsetzen wollten», sagt Mariko.
Definitionen werden immer erst von aussen an ein Objekt herangetragen.
Und so kam es, dass sie etwas überrascht waren, als ihnen von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung der Green Fashion Award für Nachhaltigkeit verliehen wurde. «Unsere Grundidee war die Wiederbelebung der Kleidung und der Geschichten, die an ihr haften. Die Wiederverwertung ging damit einher und brachte das Etikett der Ökologie mit sich.» Über den Preis haben sich beide sehr gefreut: «Es ist immer besser, etwas wiederzuverwerten als einfach achtlos wegzuwerfen. Und wir sind glücklich, mit unserer Arbeit ein solches Zeichen zu setzen», fügt Eugenie an. Mit Stolz erfüllt die beiden auch das System, das sie sich für den Kreislauf der Kleidung ausgedacht hatten.
Dass man die Geschichte eines Kleidungsstücks über eine Nummer verfolgen kann, lässt eine eigene kleine Welt entstehen, die uns so viel Spielraum bietet, dass wir immer innerhalb dieses funktionierenden und nachhaltigen Systems arbeiten können.
«Die Hybride, die in dieser Welt entstehen, haben eine Art Familienstammbaum und das, als kreativer Moment, ist für uns sehr wertvoll», sagt Mariko. Künftig wollen sie den Aspekt der Geschichten noch mehr hervorheben und die Kleiderspender auffordern, zu den abgegebenen Teilen eine Anekdote dazuzuschreiben. Ob das für jemanden, der einfach nur seine Altkleider sinnvoll entsorgen will, die Mühe wert ist? Sie sind sich beide einig, dass schon: «Oft kommen Leute direkt bei uns im Studio vorbei und erzählen ungefragt die Geschichte ihrer Kleidungsstücke.»
Kunst, Mode oder Marke?
Die bewusste Auseinandersetzung mit dem Thema Marke geschieht bei Schmidttakahashi nicht in einem Konferenzraum oder mit Stift und Papier. «Das Bewusstsein dafür wächst kontinuierlich», sagt Eugenie. «Wir machen Mode, aber auch Kunst», sagt Mariko. «Es ist Mode mit weiterführenden Informationen, wenn man so will.» Der Entscheid zur Labelgründung kam, als die New York Times über die beiden berichtete.
In diesem Moment wurde uns klar: Jetzt oder nie. Und wir entschieden uns für jetzt.
Schmidttakahashis Stil, und damit ihre gesamte Marke, entwickelt sich von Kollektion zu Kollektion. «Es ist ein bisschen wie mit einem Kind», sinniert Eugenie. «Man ist voller Erwartung, und wenn es dann da ist, ist man erstmal überrascht und staunt selbst. Und in welche Richtung es sich dann entwickelt, zeigt sich erst mit der Zeit.»