Mongrels in Common
Marke: Swiss Miss Markenmacher: Tina Roth Eisenberg
Marke: Swiss Miss
Markenmacher: Tina Roth Eisenberg
Unter «Swiss Miss» versteht der Weltgänger heute weder ein Bergmädchen wie Heidi noch einen Schokoladenpudding. Wer wissen will, was sich in der Welt von Design, Kommunikation und Grafik tut, besucht den Swiss Miss-Blog der gewandten Stilbeobachterin Tina Roth Eisenberg.
Als Tina Roth zum ersten Mal den Fuss auf den Broadway in New York setzte, stellte sie fest, dass die Leute hier das gleiche, hohe Tempo einschlugen, das die Ostschweizerin schon zu Hause vorgegeben hatte.
«Ich merkte sofort, hier bin ich daheim.» Zwölf Jahre später gibt es kein Zweifel daran, dass Tina in Brooklyn zu Hause ist, mit ihrem Ehemann Gary Eisenberg, der fünfjährigen Tochter Ella und dem 17 Monate alten Söhnchen Tilo. Auch wenn das Heim im Moment aussieht wie eine Baustelle: Die junge Familie ist eben umgezogen, zum ersten Mal präsentiert Tina die neue Wohnung. «Bis letzte Woche schlief Tilo in einem Kasten», sagt sie lachend und führt auf die Dachterrasse des Hauses, von der sich ein spektakulärer Blick auf New York bietet. Keine Frage, dass die Wohnung mit Stil und Geschmack und viel Köpfchen eingerichtet wird: Tina Roth Eisenberg führt als «Swiss Miss» einen der bedeutendsten Blogs über Design, monatlich besuchen über eine Million Internetnutzer ihre Webseite. Aber auch Gary spricht bei der Wohnungseinrichtung gewichtig mit: Er ist ein erfolgreicher amerikanischer Küchendesigner.
Er leitet die Bauarbeiten im neuen Heim im 15. Stock eines neuen Hochhauses, bei denen aus zwei Wohnungen eine geräumige werden soll.
Ich gehe zu schnell, rede wildfremde Leute beim Einkauf an, frage zuviel.
Wenn Gary mit Frau und Kindern auf Besuch in der Schweiz ist, lächelt er still über die sprudelnde Lebensfreude seiner Gattin, und stellt fest, wie stark sie sich in zwölf Jahren in der Stadt die New Yorker Sitten angeeignet hat: Die eher verhaltenen Leute in der Schweiz sind von ihr oft etwas überfordert. Die Frau aus Speicher bei St. Gallen lacht: «Ich gehe zu schnell, rede wildfremde Leute beim Einkauf an, frage zuviel.»
Doch ist es eben dieses Interesse an Menschen und Dingen, die Tina zur vielbeachteten Stil-Ratgeberin gemacht haben, zu einer, die jeden Tag wieder ein Produkt oder eine Idee in den virtuellen Raum stellt, die das Leben teils wesentlich erleichtern, zumindest aber den Tag erhellen. Von der 360 Grad-Filmkamera für das iPhone zum Teddybär-Kissen für das Baby, von der Software zum Museumsstück findet sich alles, was Stil hat unter der prominenten Internetadresse www.swiss-miss.com. Auf das Bindestrichchen wird Wert gelegt, es stellt schliesslich eine alte Lehre der Grafik unter Beweis: Oft macht das Detail den grossen Unterschied. Die Adresse swissmiss.com führt zu einem langweiligen Schokoprodukte-Anbieter, der mit mässig originellen Slogans wie «Pick up a Pudding Today!» wirbt und dessen Webauftritt von Tinas Designberatung durchaus profitieren würde. Welche Swiss Miss das Internet regiert, weiss die «Queen of Accidental Business», wie sie von Arbeitspartnern auch schon genannt wurde: Getrieben von eigener Neugier stösst sie unverhofft auf Ideen, die auf Anklang bei einem breiten Publikum stossen. Für die Arbeit fährt die junge Frau in wenigen Velominuten aus «Dobro» - Downtown Brooklyn - nach «Dumbo» – Down under the Manhattan Bridge Overpass: So nennt man heute die Quartiere, im Bestreben der Stadtplaner den neuen urbanen Gemeinschaften innerhalb New Yorks einen Markennamen zu geben, so wie dies erfolgreich in Manhattan mit Soho und Tribeca geschehen ist. Die Top-Apartments in Dumbo könnte sich Tina bei allem Swiss Miss-Erfolg nicht mehr leisten, dort wohnen unterdessen Bankiers und Grossunternehmer. Ihr strahlend weisses Büro mit beeindruckender Sicht auf den East River, über den sich die Manhattan Bridge Richtung Skyline streckt, hat sie aber behalten und ausgebaut. Aus den grosszügigen Räumen wird nicht nur der Blog geleitet, Tina orchestriert hier gleich mehrere Unternehmen: «TeuxDeux», eine To-Do-App für iPhones und das Internet sowie «Creative Mornings», eine Vortragsserie mit Persönlichkeiten aus der Welt des Designs, der Grafik, Kunst und Wissenschaft. Zudem richtet die Swiss Miss einen Online-Shop ein.
Qualität ist Funktionalität kombiniert mit gutem Fachhandwerk.
Worauf achtet sie bei der Auswahl der Artikel, die über ihre Marke angeboten werden? «Qualität ist Funktionalität kombiniert mit gutem Fachhandwerk», sagt Roth Eisenberg. So werden im Shop Produkte zu kaufen sein, die Tinas Ansprüchen genügen und die sie selber benutzt. Sie habe unterdessen ein ziemlich sicheres Auge für Dinge, die ihren Lesern gefallen. Der Shop sei ein Experiment – «wenn’s guet goht, isch guet, wenn nöd, denn nöd.» Dass es nicht gut gehen könnte, ist aber kaum anzunehmen. Zum einem lässt sich am Echo auf einen Blog-Eintrag gut messen, wie gut eine Sache ankommt, zum anderen wird sie von vielen Bloggern und Produzenten seit einiger Zeit dazu gedrängt, den Schritt zu machen. Zum Ausverkauf wird es bei der sympathischen Schweiz-Amerikanerin aber nicht kommen: «Verliert man als Blogger die Zugänglichkeit, die Authentizität und die Glaubwürdigkeit, ist der Name hin», weiss Tina und sagt kämpferisch: «Mich kann niemand kaufen. Egal wie oft ich angefragt werde, gegen Bezahlung ein Produkt in meinen Blog aufzunehmen: Wenn mir etwas nicht gefällt, kann man mir noch so viel Geld anbieten, es kommt nicht in Frage!» Und so wie sich die junge Mutter im realen Leben fit hält, schaut sie auch darauf, dass die Swiss Miss im Netz frisch bleibt und sich weiter entwickelt. Eine Marke habe ein Art Lebenslauf wie ein Mensch: Sie werde geboren, lerne, gewinne Erfahrung und mache sich wenn möglich einen Namen. «Wenn die Leute spüren, dass da Energie hinein gesteckt wird, dass da etwas lebt, dann bleiben sie dran.» Wer das emsige Kommen und Gehen der keativen Köpfe, Künstler und Entwickler sieht, mit denen Tina ihr Arbeitsumfeld teilt, spürt, dass man in einer Ideenfabrik steht. «Wenn die Leute sehen, was ich sonst noch tue, dann verleiht das auch dem Blog Glaubwürdigkeit: Ich rede nicht nur über Apps, mit «Teux Deux» habe ich auch selber eine gemacht. Mit «Creative Mornings» nehme ich meine Online-Community aus dem virtuellen Raum in die wirkliche Welt». Wer mag, kann sich dabei in Los Angeles, San Francisco, Chicago, New York, London oder Zürich bei einem Frühstück und Vortrag mit der Energie der unermüdlichen Tina messen.
Meine Emailbox ist die Hauptquelle meiner Schuldgefühle!
Dass sie aber auch mit aller Arbeitswut ihrem Verlangen, auf die Anfragen und Vorschläge der Leser und Kunden persönlich einzugehen, kaum mehr nachkommen kann, musste sie vor einigen Monaten erkennen: Die tägliche Flut der Emails, die sie überschwemmt, wird unterdessen mit einem automatischen Rückschreiben mit der Bitte um Geduld beantwortet. Im witzig gehaltenen Schreiben gesteht Tina: «Meine Inbox ist unterdessen die Hauptquelle meiner Schuldgefühle!» Wer ganz dringende Mitteilungen hat, soll «Das Internet implodiert» als Titelzeile der Mail einsetzen. Tina kennt ihre Grenzen: «Es gibt eine ganz klare Linie zur Privatsphäre, die ich nie überschreiten würde. Mein Mann leidet schon genug – er ist die privateste Person, die ich kenne. Dabei ist er mit einer Frau verheiratet, die die eigene Wohnung auf dem Blog verkaufte und dort auch Vorschläge für den Namen des zukünftigen Sohnes entgegennahm!» Doch die Swiss Miss würde auch die Implosion des Netzes überleben – zum Beispiel mit dem Verkauf von temporären Aufklebtattoos. Ein erstes Werbeexemplar hat sie bereits anfertigen lassen: Ein schwarzes Kreuz in einem schwarzen Kreis. Kein Heidi-Logo, vielmehr swiss urban chic.