Fabrique
Marke: Poushe Strudelhaus Markenmacher: Ivanka Suter, Violeta, Vassilena und Vania Naydenova
Marke: Poushe Strudelhaus
Markenmacher: Ivanka Suter, Violeta, Vassilena und Vania Naydenova
Über die zehn Jahre verteilt, die auf Ivanka Suters Eröffnung des ersten Strudelhauses in Zürich folgten, nahm immer wieder eine ihrer drei Töchter eine weitere Filiale in Betrieb. Inzwischen sind es derer vier, eine geführt von der gebürtigen Bulgarin selbst, die anderen drei von jeweils einer Tochter: Violeta, Vassilena und Vania.
Vor dem Café draussen auf dem Gehsteig wischt eine junge kurzhaarige Frau mit Schwung die Tische an der Strasse sauber.
Erste pollenartige Vorboten des Frühlings hatten es sich in der Morgensonne vergeblich darauf gemütlich gemacht. Als Vassilena Naydenova merkt, dass die Neuankömmlinge nicht nur zum Strudelessen hergekommen sein dürften, ruft sie lachend ein lautes «Aah!» in unsere Richtung, wirft den Lappen hin und rennt in das kleine Lokal, um sofort frische Limonade und Kaffee aufzutischen.
Hinter dem Tresen steht ihre Mutter Ivanka und knetet Teig, ihre jüngste Schwester Vania werkelt etwas an der riesigen Kaffeemaschine herum. Wir sind etwas zu früh, ich schlage vor, erst einmal ein paar Notizen zu machen, bis sie bereit seien. Sie ruft etwas auf bulgarisch in den Hinterraum und beginnt heiter allerlei ungestellte Fragen zu beantworten. Damit wird sie auch die nächsten zwei Stunden nicht aufhören und mein Notizblock wird so unbeschrieben bleiben wie er es in diesem Moment war. Bevor wir es uns versehen, werden wir also von Vassilena in einen Schwall Worte gehüllt, der uns mitnimmt auf eine Reise, vielleicht 30 Jahre zurück in der Geschichte. Da gibt es ein Auto, eine wilde Tour über holprige Strassen, wir hören von den im Fahrtwind flatternden, damals noch viel traditionelleren Kleidern der Mutter, davor und dazwischen Anekdoten von Luxus, Zypern, volkstümlichem Tanz mit für die damalige Zeit viel zu modernen Elementen, die junge Mutter mit den roten Haaren; alles in allem eine verzwirbelte Geschichte, die über zahlreiche Verästelungen dann hier an diesem Tisch enden soll. Dazu gibt es frischen, warmen Strudel, salzigen mit Feta für den Fotografen, süssen für mich. Vania steigt nun auch mit ein in das Gespräch, das an Fahrt fast nicht mehr aufzuhalten ist. Bis die Mutter irgendwann hinter einem in der Luft herumfliegenden Teig hervorruft: «Red doch nicht so viel, Vassilena. Lass den Leuten immer noch ein bisschen Platz für ihre eigene Fantasie!» Die mittlere Tochter grinst amüsiert und hält kurz inne. Diesen Moment nutzt Vania, um auf ihre Barista-Ausbildung zu verweisen und noch mehr Kaffee zu machen.
Wir brauchen wenige Zutaten und haben viel Fantasie. So läuft unser Geschäft.
Die kurze Verschnaufpause reicht nicht ganz, um das reichhaltige Angebot in der hiesigen Filiale am Stadtrand ganz zu überblicken.
Was aber nicht zu übersehen ist: Alles ist handgemacht. Seien es der für die bulgarische Küche typische Pflaumenstrudel mit Zimt und Baumnuss, der Joghurtstrudel oder die Variante mit dem körnigen Mohn mit Quark. Ein buntes Buffet mit orientalisch angehauchten Salaten, Auberginen und kalten Linsenspeisen lädt ausserdem zum Ausprobieren ein. «Unsere Strudel basieren alle auf unveränderten, uralten Rezepten», erzählt Ivanka. «Meine Mutter lernte viele dieser Strudel schon als Kind zuzubereiten. Meinem Vater machte sie jeden Morgen einen Strudel, und er trank dazu gern seinen Deziliter Schnaps.» Sie nickt, sich selber bestätigend, und sagt: «Er wurde so immerhin 87.» Und sie fährt fort: «Strudel erzielen einen grossen Effekt ohne viel Aufwand. Zumindest für uns, weil es das ist, was wir seit Jahren tun. Wir brauchen wenige Zutaten und haben viel Fantasie. So machen wir unser Geschäft.» Und Vania meint: «Wir verwenden wahlweise ein bisschen Milch, sonst immer nur Wasser, Mehl, und Salz. Und statt Butter verwenden wir Öl, damit wir auch Strudel ganz ohne tierische Produkte anbieten können.» Das war die Idee der dritten Schwester, Violeta. Sie war es auch, die dafür plädierte, dass man sich am besten nur auf ein einziges Produkt spezialisieren solle. Sie gerade kommt zur Tür hinein, etwas ausser Atem, schnappt sich einen Teller und führt das Gespräch weiter, als wäre sie schon die ganze Zeit mit am Tisch gesessen. Zwischen einem Bissen Strudel und einem Lob an die Mutter sagt sie: «Wir verwenden auch nur regionale Produkte. Ein Angebot, regionale Zutaten, das ist es eigentlich, was uns auszeichnet.» Sie sieht etwas geschafft aus. Wie die anderen ist auch sie nicht geschminkt und sobald sie zu reden beginnt, erhellt sich ihr Gesicht. An den Wänden hängen Heiligenbilder, die Vassilena gemalt hat. «Unsere Helden», meint Ivanka. Der Heilige Vassili – «Er war in Osteuropa der einzige, der die Kirche hinterfragte, und wir teilen seine Ansicht, dass Religion etwas ist, was im Innern eines jeden Menschen stattfinden soll», erklärt Vassilena. Ebenfalls auf das Geschehen herunter blickend: die Heilige Helena und Konstantin. Und schliesslich die Heilige Barbara – «Ihr Vater war König», erläutert Vania, «und sie widersetzte sich ihm und finanzierte im Namen der Gerechtigkeit die Opposition. Und das mit 17!» Grund genug, sie als Vorlage für das Logo des Strudelhauses zu verwenden. Vassilena, die das Logo kreierte, meint: «Wenn jemand die Wahrheit sagt und sich dafür einsetzt, ist das für mich immer Kunst. Das bewundere ich auch an meiner Mutter. Sie vertritt ihre persönliche Wahrheit, egal was ist. Sei das die Art, wie sie durchs Leben geht oder eben einfach, wie sie ihre Auberginen zubereitet. Sie verarbeitet sie so, wie es für sie wahr ist. Und deshalb schmecken sie genau so, wie sie sollen.»
Ein Bild ist die Aussage eines Künstlers, seine Interpretation der Welt. Die Gedanken und Ideen eines Kochs widerspiegeln sich in seinem Gericht.
Doch nicht nur die Bilder an den Wänden sind selbstgemacht. Auch viele der Möbel haben die Frauen selbst restauriert. «Bei uns macht jeder, was er am besten kann», sagt Vassilena. Und Vania meint: «Dass wir aufgehört haben, uns darauf zu konzentrieren, was falsch läuft, um dies dann zu verbessern, das ist unsere bisher wichtigste Erkenntnis. Wir konzentrieren uns jetzt immer auf das Positive, auf die Stärken einer Person und diese fördern wir.» Vania, die, wenn man sie nur reden hören würde, genau so gut die älteste der Schwestern sein könnte, kümmert sich um das Operative, um die Karte und die Lieferanten. Violeta ist verantwortlich für die Finanzen, Vassilena für die Kunst. Und Ivanka ist zuständig für die Produktion, «nicht allein, aber hauptsächlich – das gilt für alle und alles», sagt Vania. Und Violeta ergänzt, was auch ohne Worte spürbar ist: «Wir sind eine Familie. Wir teilen Wertvorstellungen, wir haben dasselbe Ziel. Alles, was wir tun, basiert auf Vertrauen, aber muss man halt viel reden miteinander, damit es gut bleibt.» Und weil das tagsüber nicht immer geht, wohnen die vier Frauen sogar wieder alle unter einem Dach, im selben Haus.
Jeder ist mitverantwortlich am Ganzen. Das stärkt die Motivation.
«Das Zusammenleben macht die Kommunikation einfacher», meint Violeta. Vania lacht: «Das klingt vielleicht komisch. Zusammen arbeiten und zusammen wohnen. Aber wir sind einfach ein Gesamtpaket.» Und Vassilena ruft: «Sogar in den Urlaub fahren wir zusammen!» Jetzt brechen sie in schallendes Gelächter aus. Nach und nach kriegen sie sich wieder ein und Vassilena erklärt: «Im Ernst. Es wäre doch merkwürdig, nur den Alltag zu teilen, alle Probleme zusammen zu lösen und dann die freie Zeit mit jemand anderem zu verbringen.» Ivanka verschwindet und kommt mit einer Flasche Prosecco zurück und sagt: «Wenn müde, dann Prosecco.» Aber erst werden noch die Fotos gemacht. Unverstellt plaudern sie weiter, die vier Frauen vom Strudelhaus, und lassen sich fotografieren. Keine von ihnen käme auf die Idee, sich die Haare zu richten oder nach Schminke zu suchen. Violeta lacht und sagt: «Es ist, wie es ist – oder wie meine Mutter sagt: Wenn du einen Esel vor die Kamera stellst, ist halt nachher ein Esel auf dem Bild. Verstellen bringt also nichts.» Und Vassilena sagt lachend: «Wie ich schon sagte, die Wahrheit ist eine Kunst für sich. Wir sind, was wir sind – vielleicht ja auch ein bisschen Kunst.»