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Shang Xia: Auf dem Gipfel chinesischer Lebensart

Marke: Shang Xia Markenmacher: Jiang Qiong Er

Marke: Shang Xia

Markenmacher: Jiang Qiong Er

Unter der Schirmherrschaft von Hermès gründete Jiang Qiong Er 2008 in Shanghai eine ganz besondere Designfirma: Feinste Objekte für das 21. Jahrhundert – basierend auf jahrhundertealter Ästhetik.

Man darf ja nicht vergessen, dass Shanghai nicht immer die schillernde Zukunftsstadt war, voller Wolkenkratzer, dreifach übereinander gestapelter Autobahnen und goldener Ferraris.

Als Jiang Qiong Er ein kleines Mädchen war, in den frühen Achtzigerjahren, da fuhren die Leute Fahrrad und zur Erholung gingen sie in den Park. Zumindest Jiangs Eltern taten das. Sie fuhren auch durch ganz China, um Jiang und ihren Bruder aufmerksam zu machen auf die Schönheit in der Natur. Auf den Lotus. Und die Schwäne. Zuhause malten sie dann, was sie gesehen hatten: Zum Beispiel den Lotus und die Schwäne. Mit zweieinhalb Jahren fing sie an zu zeichnen. Das taten nämlich alle in ihrer Familie. Ihr Großvater mütterlicherseits war ein berühmter Maler, Jiang Xuanyi. Ihr Vater Xing Tonghe ist der Architekt des Shanghai Museums, in dem all die wertvollen Kulturgüter ausgestellt werden, die China vor allen anderen Ländern auszeichnen: Die ersten Meisterwerke aus Porzellan. Bilder und Kalligraphien. Jadeschmuckstücke. Fein ziselierte Holzmöbel. Kein Zufall also, dass sie viele dieser Objekte heute mit ihrer Firma Shang Xia unter der Schirmherrschaft des Luxushauses Hermès neu interpretiert. Verzeihung! Sie mag das Wort Luxus nicht. Das sei ein Begriff aus der Marketingsprache, findet sie, gebraucht für Mode etwa, die in der nächsten Saison oft schon wieder veraltet sei.

Der einzig wahre Luxus unserer Tage seien Zeit und Emotionen.

Der wahre Luxus unserer Zeit sind Zeit und Emotionen.

Die will sie erzeugen – mit Kostbarkeiten, die so schön sind, dass sie ihren Besitzer berühren und träumen lassen.

Und ihr Konzept geht auf jeder Ebene auf – schon wer die Boutique des japanischen Architekten Kengo Kuma betritt, fühlt sich dank der luftigen Wandverkleidung ein bisschen wie auf einer Wolke. Was der Name bedeute? Shang heißt «auf», Xia «ab». Sie gerät nun ein wenig ins Philosophieren, das liebt sie. Also: «In meinen Augen steht das Auf und Ab stellvertretend für eine harmonische Co-Existenz aller Gegensätze, die wir kennen. Für Mensch und Natur, Stadt und Land, Tradition und Moderne, Ost und West.» Ohne Vergangenheit keine Gegenwart – und erst recht keine Zukunft. Sicher, in den Kriegs- und Hungerjahren musste die großartige Ästhetik Chinas in Vergessenheit geraten, sagt sie. Man war damit beschäftigt, den Bauch zu füllen. «Aber nun boomt die Wirtschaft. Eigentlich eine gute Zeit, unsere ureigenen Werte neu zu entdecken!» Vermutlich ist kaum jemand so geeignet, die Essenz chinesischer Traditionen weiterzugeben wie diese enorm sympathische Musterchinesin. Weil ihre Bilder so toll waren, wurde sie als Kind schon von zwei der angesehensten Künstler Chinas zu deren Schülerin auf Lebenszeit ernannt. Sie besuchte ihre Lehrer einmal die Woche und diskutierte mit ihnen über ihre Bilder und Kalligraphien – was nicht selten in ethisch-philosophische Diskussionen mündete. Denn nur eine schöne, in sich ruhende Seele kann gute Kunst fabrizieren. Und als sie sechs und ihr Bruder neun war, machte ein Dokumentarfilmer die beiden Wunderkinder zu Hauptpersonen eines Films. Am Ende wird die kleine Jiang gefragt, was sie denn später werden wolle. Worauf sie selbstbewusst antwortet: «Ich möchte die Welt mit meinen Pinseln bunt malen... » Poetischer kann man ihre Mission bis heute nicht beschreiben. Sie könnte die Fee aus einem modernen asiatischen Märchen sein. In schlichtes Schwarz gekleidet, sehr aufrecht und alert und im Reden strahlend sitzt sie da, mittlerweile 36 Jahre alt und selbst Mutter zweier Kleinkinder. Das Gespräch findet im Penthouse des eleganten Boutiquehotels 88 statt, das ihrer Firma als «Experience Centre» dient. Und wie so oft lässt sie auch dieses Interview mit einer Teezeremonie, dem Inbegriff chinesischer Gastlichkeit, beginnen. Tee ist die beste Brücke vom alten China in die Moderne – zum visonären Konzept von Shang Xia. Taxifahrer wie Präsidenten schätzen ihn – und selbst Kaffeepersonen aus dem Westen kommen zur Ruhe, wenn sie in ihren Boutiquen Platz nehmen und zusehen, wie die Blätter gespült werden, die kleinen Tassen gefüllt. Die Zeremonie dient auch als Faden durch die vier Objektkategorien der Firma. «Zuerst brauchte man ein schönes Service und Mobiliar, dazu trug man komfortable Kleider – und poetischen Schmuck.» Die Kollektionen baut sie also nicht nur darauf auf, was sie selbst mag, sondern nach ihrer Relevanz für die chinesische Lebensart. Ihr Da Tian Di Teetisch ist inspiriert von Möbeln der Ming-Dynastie – gefertigt aus dunklem Zitanholz, dem Kaiserholz, das ihr Team neuinterpretiert hat – mit einer Perfektion, die sprachlos macht. Das Holz fühlt sich seidenweich an, weil es in 1000 Arbeitsstunden (!) poliert wurde. Und wenn man die Tischplatte zur Seite schiebt, kommt ein Tablett aus kühlem Ink Stone zum Vorschein, dem Stein der Kalligraphen, dazu ein Wasserkocher, dessen Kabel im Tischfuss versteckt ist. Bespielt wird das gute Stück von Wendy, der mädchenhaften Tee- und Geruchsmeisterin ihres Hauses. Die Wände des Raums sind mit Teebriketts tapeziert, deren Schachbrettmuster einen feinherben Geruch abgibt. Und die Sphärenmusik im Hintergrund, die einer von Qiong Ers Freunden komponiert hat – auf der Basis des Klangs eines hauchdünnen Teeservices von Shang Xia – gibt dem Ganzen endgültig einen überirdischen Rahmen.

«Splendid Simplicity» lautet ihr Konzept: Simple Designs, erstklassige Handwerksleistung, feinste Materialien – manche Chinesen waren davon schon zu Tränen gerührt.

Überirdisch schön ist eigentlich alles, was Jiang Qiong Er macht. Sie selbst nennt es «splendid simplicity» - drunter tut sie es nicht. Sie möchte ja den Landsleuten auf lange Sicht den Stolz auf die eigenen Wurzeln zurückgeben, und sie wegholen vom Bling Bling der westlichen Labels. Stolz erzählt sie, dass sie schon einige moderne Chinesen getroffen habe, die von der exzellenten Handwerksleistung, den simplen Designs, und den feinen Materialien Shang Xias zu Tränen gerührt waren. Und damit man die Marke künftig auch außerhalb Chinas erleben kann, wird sie im September ihre dritte Boutique in Europa eröffnen. In Paris, jener Stadt, der sie soviel verdankt.

Meine Eltern ließen mich immer machen. Sie vertrauen mir absolut. Ich hatte unglaubliches Glück mit ihnen.

Hier hat sie studiert – und sich selbst gefunden. Sie lacht: «13 Jahre später habe ich sogar einen französischen Mann.» Eigentlich wollte sie nach ihrem Kunststudium an der Shanghai Tongji Universität in Kalifornien ihren Master machen. Alles war schon vorbereitet. Doch dann reiste sie ausgerechnet in ihren letzten Uni-Ferien durch Europa – von dessen Kultur sie so fasziniert war, dass sie spontan beschloss, alles umzuwerfen – und an der Pariser Ecole Nationale Superieure des Arts Decoratifs den Master in Möbeldesign zu erwerben. Ihre Eltern verstanden den Schritt nicht – sie sprach ja nicht mal Französisch – aber «sie ließen mich immer machen. Sie vertrauen mir absolut. Ich hatte unglaubliches Glück mit meinen Eltern.» Nach einem Jahr Sprachstudium durfte Jiang Qiong Er erstmals frei von Vorgaben entwerfen. Es war das Gegenteil von ihrer bisherigen Ausbildung, die traditionell chinesisch auf Lernen durch Kopieren ausgerichtet war. Doch erst die beiden Richtungen zusammen haben ihren künstlerischen Ausdruck in Balance gebracht. Und weil sie so mit sich im Reinen war, begann sie mit voller Kraft ihre Karriere. Zusammen mit ihrem ehemaligen Professor aus Shanghai und einem anderen Freund gründete sie nicht weniger als vier Boutiquen. Noch vor ihrem 30. Geburtstag! Doch der Lottogewinn kam 2006: Hermès lud sie zunächst ein, die künstlerische Gestaltung aller Schaufenster in China zu übernehmen. Bei einem Dinner traf sie Hermès-CEO Patrick Thomas, der schon länger den Wunsch hatte, eine chinesische Variante des Pariser Stammhauses zu gründen. Und voila! In der Schaufenstergestalterin hatte er die perfekte Partnerin zur Umsetzung seines Traums gefunden. «Es war wie bei jedem gelungenen ersten Date,“ erinnert sich Jiang Qiong Er. «Wir redeten, tauschten Ideen aus, fanden gemeinsame Ideale... angefangen bei den Qualitätsansprüchen bis hin zur Orientierung an historischen Vorbildern – einfach herrlich!»

Meine Familie ist mein grösster Erfolg bisher. Diese Liebe. Da ist soviel positive Energie.

Nach der Gründung des Joint Ventures 2007 reisten sie und ihr Team auf der Suche nach geeigneten Handwerkern monatelang durch ganz China.

Zeit war einfach nie ein Thema. Die Fertigung des Da Tian Di Teetisches dauert 2000 Arbeitsstunden? Kein Problem. Sie muss keinen Umsatz machen. Hermès gibt ihr 20 Jahre Zeit. Kein Wunder, dass sie trotz einer acht Monate alten Tochter so entspannt aussieht. Was sie tut, wenn sie abschalten will? «Shopping bestimmt nicht,» grinst sie. Ihr Kleiderschrank beinhaltet eine überschaubare Mischung aus Zara, Uniqlo und Hermès. «Aber ich liebe Reisen, Filme, Fotografie, Kung Oper, Lesen. Und meine Familie natürlich. Das ist mein größter Erfolg bisher. Diese Liebe. Da ist soviel positive Energie.» Damit holt sie, typisch Mama, ihr iPhone mit den Kinderbildern hervor. Die Tochter. Der Sohn. Und voller Stolz sagt sie: «Der Kleine mit seinen zweieinhalb Jahren hat schon einen exzellenten Teegeschmack. Manchmal sagt er zu mir, heute gehe er lieber zur Oma. Die hat nämlich den besseren Oolong Tee.»

  • Bilder: Daniele Mattioli
  • Text: Lisa von Ortenberg
  • Übersetzung: Tessa Pfenninger
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