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Laurent Goblet – die Pferdeversteher aus der Rue Faubourg Saint-Honoré

Marke: Hermès Markenmacher: Laurent Goblet

Marke: Hermès

Markenmacher: Laurent Goblet

Seit nahezu 150 Jahren produziert das Luxushaus Hermès Sättel, die Ross und Reiter glücklich machen. Jetzt bringt die Pariser Sattlerei zwei neue Modelle heraus und zeigt, dass auch dieser Ur-Geschäftszweig des Unternehmens mit innovativen Produkten am Puls der Zeit bleibt.

Vor dem Stammhaus von Hermès in der Pariser Rue du Faubourg Saint-Honoré formiert sich bereits um halb zehn eine kleine Schlange von Japanern. Rund eine Stunde werden sie noch ausharren müssen, bis der Shoppingtempel seine Türen öffnet. Ein paar Meter weiter, in der Seitenstrasse Rue Boissyd’Anglas, rauchen währenddessen zwei junge Männer in schwarzen Anzügen ihre erste Zigarette. Das alte Schild über ihnen sagt, wo sie arbeiten: Hermès Atelier & Services. Die Services sind in Büros beheimatet, das Atelier in der Sattlerei.

Das Ur-Business von Hermès ist seit fast 150 Jahren mit seiner Werkstatt an dieser edlen Adresse zu Hause – und es sieht nicht so aus, als ob sich daran jemals etwas ändern sollte.

Der Grundstein des Luxuskonzerns

Ein Blick in den Empfangsbereich genügt, um zu wissen, welche Bedeutung das alte Handwerk, mit dem Firmengründer Thierry Hermès 1837 den Grundstein zum heutigen Luxuskonzern legte, heute noch im Unternehmen geniesst.

Direkt hinter der Eingangstüre schmücken Pferdeköpfe und Spitzkumte die Wände, neben der Rezeption hängen vergilbte Stiche von historischen Werbeplakaten, auf denen Zaumzeug und Sättel – neben ein paar Koffern und Taschen – angepriesen werden. Im Innern des Gebäudes herrscht ein verzweigtes Wirrwarr von Gängen, die zu verschiedenen Ebenen und Etagen führen. «Man kann sich hier leicht verlaufen. Doch den ersten Aufzug, den Sie sehen, der führt direkt zu uns», erklärt Laurent Goblet, Atelierchef der Sattlerei mit Stolz und einem Augenzwinkern. Klar, dass der direkte Weg in die Sattlerei in den fünften Stock führt. Sie war ja schliesslich vor allen anderen im Haus ansässig.

Der sehnige Sattlermeister lächelt kurz und wendet sich wieder seiner Arbeit zu: «Eine Minute noch, gleich bin ich fertig. Dieser Sattel muss heute noch raus. Jetzt beginnen die Vorbereitungen für die Olympischen Spiele und die Reiterin braucht ihn für die Vorwettbewerbe.»

Mit voller Konzentration führt Laurent Goblet einen filigranen Spezialhammer über das Leder des Sattels. Die Beine im Ausfallschritt, den Körper aufs Äusserste gespannt, lässt er das Metall auf den grossen schwarzen Dressursattel vor ihm niedersausen. Ein Kollege stemmt sich mit aller Kraft dagegen, um der gezielten Wucht des Hammerschlags standzuhalten. Mit kritischem Blick durch seine Brille überprüft Laurent die bearbeitete Stelle und nickt. «Erledigt», sagt er zufrieden und entlässt den Kollegen samt Sattel aus einem kleinen Büro, in dem sich Einzelteile, zugeschnittene Lederstücke und unfertige Testprodukte bis an die Decke stapeln.

Reiter und Pferd sollen eins sein

Bei den Olympischen Spielen mit einem Hermès-Sattel dabei zu sein und vielleicht sogar zu gewinnen, das wäre natürlich ein Traum. Das letzte Gold gab es für das Modell Steinkraus bei den Spielen von Mexiko im Jahr 1968. Auch 1952 hatte man gewonnen. Für 2016 wurden die Karten neu gemischt und der drahtige Maître Sellier und seine Mitarbeiter haben alles getan, um sich in eine gute Startposition zu bringen.

Beim alljährlichen Pariser Reitturnier Saut Hermès stellte das Atelier aus der Rue du Faubourg Saint-Honoré im März 2016 gleich zwei neue Modelle vor: Allegro fürs Springreiten und Arpège für die Dressur.

In den neuen Produkten stecken zweieinhalb Jahre harte Arbeit, mehrere Prototypen und viele innovative Ideen, um den Kontakt zwischen Reiter und Pferd zu verbessern.

Laurent Goblet: «Es geht um das Gleichgewicht zwischen beiden: Pferd und Reiter sollen eins werden. In einem guten Sattel stecken Savoir-faire und jede Menge technisches Know-how von Profireitern, mit denen wir eng zusammenarbeiten. Wir haben schon viele Probleme erkannt und Wünsche realisiert, aber unser Ziel ist es, morgen noch etwas Besseres als heute liefern zu können.»

Seine jüngste Entwicklung, der neue Sattel Hermès Arpège, entwickelt mit der deutschen Dressurreiterin Jessica von Bredow-Werndl, ist ein komplexes Gebilde: Er besteht aus 65 Einzelteilen und 27 Materialien. Der Atelierchef zeigt stolz die Aufstellung, die wie in einem Kochrezept vom Nagel bis zum Oberleder alles in Menge und Grösse auflistet, was es zur Fabrikation braucht.

«Das hier ist die magische Tüte», witzelt Goblet und zeigt eine durchsichtige Plastiktüte voller Schnittmuster, auf denen sich sämtliche Vermessungen und Vorabstudien auf Papierbögen vereinen.

Es beginnt auf dem Rücken des Pferdes

Jeder Sattel von Hermès ist eine Spezialanfertigung und beginnt auf dem nackten Rücken eines Pferdes. Mittels eines sogenannten Equiscan, einer Art beweglichem Kunststoffskelett, werden Wölbung und Breite des Rückens an neunzig Punkten aufs Genaueste vermessen. Aus diesen Daten entsteht ein Modell, das gleich einem Schuhleisten als Basis für die Fertigung dient.

«Bei allem, was wir tun, geht es immer darum, zwei Kunden zu befriedigen: das Pferd und seinen Reiter», erklärt der Maître.

Drei Finger müssen zwischen Sattel und Pferd passen, egal ob es galoppiert oder ruhig steht.

Das Gerüst eines Sattels ist deshalb aus stabilem Holz und Stahl. Auf diese Basis werden im Anschluss je nach Modell fünf bis sieben Schichten aufgetragen. Erst kommt eine aus Baumwolle, danach werden Gurte gespannt, mit denen die Unterseite abgesichert wird. Darauf kommt die erste gepolsterte Schicht, häufig aus Latex, weil dieses Material sehr formbeständig ist. Nach dieser ersten Komfortschicht kommt erstmals Leder zum Einsatz. Ab jetzt geht es um äusserste Präzision. Die Tierhaut muss mit einer speziellen Zange gezogen werden, so dass sich auch später keine unangenehmen Falten bilden können. Auch die Nähte aus einem besonders reissfesten, gewachsten Faden dürfen nirgends hervortreten, weil sie später Ross und Reiter verletzen könnten.

Nicht Kraft, sondern Technik zählt

Spätestens bei diesen delikaten Arbeitsschritten zeigt sich, wie sehr die acht Ateliermitarbeiter und ihre beiden Kolleginnen ihr Handwerk beherrschen. Würde man zu fest ziehen, könnte das Leder einreissen. «Es geht nicht um Kraft, sondern um die Technik», erklärt Goblet, während um ihn herum konzentriert gehämmertund gezogen wird. Jeder Sattel wird von A bis Z, also vom Holz-Stahl-Gerüst bis zur letzten Ölung, vom gleichen Mitarbeiter gefertigt. Das bedeutet, dass jede Person in diesem von Tageslicht durchfluteten Atelier im fünften Stock alle Arbeitsschritte beherrschen muss.

Weil es keine Ausbildungsstätten mehr gibt für die Sattlerei, bildet Hermès selbst aus. In wenigen Monaten wird das Atelier um vier Mitarbeiter erweitert – ein Indiz, dass sich das Ur-Business des Luxushauses auch in unserer modernen Zeit weiterentwickelt und neue Kunden findet.

Rund 5 000 Euro kostet ein normaler Sattel bei Hermès. Bei Sonderanfertigungen sind die Grenzen nach oben offen. Damit liegen die Sättel aus dem Pariser Zentrum rund 50 Prozent über den Preisen der Konkurrenz.

Laurent Goblet erklärt: «Die Spezialität des Hauses ist Leder. Für Sättel verwenden wir Kuh-, Kalbs-, Büffel- und Schweinsleder, aber immer nur das Beste davon. Nur ein kleiner Prozentsatz des Angebots genügt unseren hohen Qualitäts-anforderungen. Wir arbeiten mit den besten Gerbern zusammen und haben selbst das Know-how, um aus einem Leder Qualitätsleder zu machen.»

25 Stunden Handarbeit stecken in einem Hermès-Sattel. Rund drei Monate nach Bestellung kann der Kunde damit losreiten. Hat er Monate später Änderungswünsche, ist das kein Problem. Kommt der Kunde Jahre oder gar Jahrzehnte später mit einem kaputten Sattel, wird er repariert.

Service wird in Rue du Faubourg Saint-Honoré gross geschrieben.

Natürlich ist die Sattlerei nur ein klitzekleines Business bei Hermès. Aber dieses Atelier ist der rote Faden, der sich durch die Geschichte des Hauses zieht.

Kein Hermès-Geschäft ohne Sattelabteilung

«Pferde sind noch immer die grösste Inspirationsquelle für alle Produkte der Marke», erklärt der 56-jährige Atelierchef.

Ob bei Seidentüchern, Taschen, Schmuck, Bekleidung, Möbeln oder Geschirr – immer sind dekorative Elemente aus der Welt der Pferde integriert, wie zum Beispiel Zaumzeug, Steigbügel oder Halfter. Auch das einmal pro Jahr stattfindende Internationale Reitturnier Saut Hermès, das mitten in Paris im Grand Palais unter einer denkmalgeschützten Glaskuppel aus der Belle-Epoque-Zeit stattfindet und die besten Reiter der Welt willkommen heisst, unterstreicht die Bedeutung dieses Geschäftszweigs für das Unternehmen – wie auch für den Reitsport an sich. Laurent Goblet: «Wenn Sie irgendwo auf der Welt in ein Hermès-Geschäft gehen, egal wie klein es auch sein mag, wird es dort auf alle Fälle eine Abteilung mit Sätteln geben.» Besser hätte man die Bedeutung des kleinen Ateliers für das Gesamthaus kaum zusammenfassen können.

Das Stammgeschäft in der Rue du Faubourg Saint-Honoré hat inzwischen seine Pforten geöffnet und die kleine japanische Gruppe strömt hinein.

Wer weiss, vielleicht sind sie auf der Suche nach einem Kelly Bag, aber vielleicht auch nach einem Steinkraus-Sattel. Beide Namensgeber sind Berühmtheiten, beide wurden von Hermès mit einem Meisterstück geehrt, aber nur eines der beiden Produkt-klassiker wurde im fünften Stock des Stammhauses gefertigt.

  • Bilder: Stephanie Füssenich
  • Text: Barbara Markert
  • Übersetzung: Tessa Pfenninger
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