Griesbach
Marke: Tamy Glauser Markenmacher: Tamy Glauser
Marke: Tamy Glauser
Markenmacher: Tamy Glauser
In der Mode ist nichts mehr nur für ein Geschlecht: Schnitte, Posen, Formen und sogar Models durchmischen sich. Das androgyne Schweizer Model Tamy Glauser profitiert von diesem Trend des Gender Bending. Mühelos vereint sie in ihrer Erscheinung Sanftmut und Härte und wird zum Präsentieren von Frauen- wie Männermode weltweit gebucht.
Doc Martens, Beanie, Converse Rucksack, rasiert, ungeschminkt, rauchend. So müsste der Steckbrief lauten, mit dem man Tamy Glauser im Nu im Gewusel einer jeden Fashion Week aufspüren könnte. Eine knappe Stunde vor der Show von Kilian Kerner sitzt sie draussen vor dem Zelt am Brandenburger Tor. Ihre dünnen Beine, die erst nach vielen Dezimetern in leichten Socken und grossen schwarzen Schuhen ein Ende finden, bewegen sich schnell auf und ab. Sie fröstelt, schaut umher, hält inne, ein bisschen wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Mit einer Hand nestelt sie an ihrem Rucksack rum und sucht vergeblich nach ihren Zigaretten, in der anderen hält sie einen Pappbecher mit Kaffee.
Schliesslich fragt sie einen vorbeigehenden Techniker, ob er ihr eine Zigarette geben könne. Er kann. Sie bedankt sich erleichtert.
Mein Leben ist spontan und frei und zur gleichen Zeit fremdbestimmt.
Oft wüssten andere besser, was in ihrem Leben als nächstes passiere, sagt Tamy.
Die 29-Jährige hat im Moment nicht mal eine Wohnung. «Das lohnt sich irgendwie nicht zurzeit», sagt sie und grinst. Sie fliegt um die Welt, je nachdem, wo sie gerade gebucht wird, Mailand, Paris, New York, geht über Laufstege und macht da ihren Job, wo nach ihr gefragt wird. «Plötzlich ruft halt jemand an und sagt hier, morgen ist dein Flug, wir wissen noch nicht, wie lange du da bleiben wirst.» Und dann nimmt sie das Ticket und geht. «Das ist voll ok für mich so», sagt sie. «Ich mag das gern.» Klar gebe es Momente, wo sie fürchte, etwas zu verpassen, Geburtstage von Freunden zum Beispiel. «Aber ich mache meinen Job total gern und freue mich auch, dass ich dabei so viel herumkomme.» So lief sie 2013 nicht nur für Jean Paul Gaultier und Vivienne Westwood, sondern arbeitete für Givenchy auch eine ganze Woche lang eng mit dem italienischen Modedesigner Riccardo Tisci zusammen.
«Und kürzlich flog ich sogar für nur zwei Tage nach Los Angeles, um dort für eine Band in deren Video zu spielen. Wer macht so was schon?» fragt sie, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.
In New York zurück zu sich
Tamy hatte es nicht leicht, als ihr im Teenageralter bewusst wurde, dass sie nicht den Weg mit den geringsten Widerständen vor sich haben würde. In der Mode passiert der Umgang mit der Erscheinung als Mann oder Frau spielerischer als abseits von Laufstegen und Editorials, das reale Geschlecht hat eine weniger grosse Bedeutung als im alltäglichen Leben.
Als ich 17 war, gab es niemanden, der öffentlich lebte, was mir damals innerlich vorschwebte.
Mit steigender Bekanntheit wächst die Möglichkeit, als Person zur Marke zu werden und so ein Thema zu besetzen.
Darüber hat Tamy auch schon nachgedacht: «Wenn man die Chance bekommt, zu einem Sprachrohr zu werden, sollte man sie auf jeden Fall nutzen, so kann man etwas bewegen.» Ihre Rolle als Vorbild für junge Menschen in einer ähnlichen Situation nimmt sie deshalb ernst. «Dass ich alles so machen kann, wie ich es mache – mal für Frauen, mal für Männer laufen, dieses ganze Androgynen-Ding, ohne Schubladisierung – und dass ich darüber in den Medien sprechen darf, das ist enorm wichtig.» Mit ihrem Leben will sie Vorbild sein und inspirieren.
«Wenn es jemanden wie mich gegeben hätte zu der Zeit, als ich 17 Jahre alt war, hätte mir das einfach nur gezeigt, dass auch dies eine Möglichkeit wäre zu leben.»
Ungehemmt sein, wer man wirklich ist
Ein kleiner Friseur geht vorbei und scheucht eine Horde Rauchender auf. Als wäre alles nur ein einziges, langes melodiöses Wort, ruft er: «Nicht rauchen bitte jetzt Leute mitkommen!» und winkt alle hinter sich her. Ein junger Mann löst sich von der Gruppe, nähert sich uns und fragt mitten in die Tonaufnahme des Interviews nach einem Filter für seinen Joint. Tamy schüttelt den Kopf und lacht ein rauhes Lachen, ein jungenhaftes, das beim Einatmen die lauteren Geräusche erzeugt als beim Ausatmen. Mit ihrem kahlgeschorenen Schädel und der Mütze, die hinter dem Ohr beginnt und schräg auf ihrem Kopf sitzt, haftet ihr in diesem Moment etwas von einem Jungen aus der Banlieue an.
Sie hätte irgendwie gut in Kassovitz’ Bildsprache von La Haïne gepasst, denke ich. Trotz dieser grossen, braunen Prinzessinnenaugen. (Es ist möglich, dass ich meine letzte Frage noch einmal stelle.)
Ich bekomme jetzt sehr viel Bestätigung dafür, dass es gut ist, genau so zu sein, wie ich bin.
Mit 21 Jahren – und hüftlangen Haaren – verliess Tamy die Schweiz und zog nach New York und fand zu sich zurück: «Als Kind war ich ungehemmt, wer ich sein wollte. Dann wurde ich älter und merkte, dass es einige Leute störte, wie ich war, und ich versuchte mich anzupassen. In New York habe ich dann Schritt für Schritt wieder gelernt, einfach ich zu sein.» Als sie dann nach drei Jahren zurückkam, war es ihr weniger wichtig, was die Leute über sie dachten. «Und das strahle ich vermutlich aus», meint sie. Sie steht auf, deutet mit dem Kopf zum Zelt und geht vor. Alles an ihr ist schmal und lang: die Arme, die Beine, die Finger.
Auf dem Weg schnippt sie ihre Zigarette nonchalant in den dunklen Januarabend.
The Stars (Are Out Tonight)
Zurück im warmen Backstage Bereich des Zeltes schlägt einem Haarsprayduft entgegen, Models werden geschminkt, manche knabbern an den bereitgestellten Karottenstängeln, vorne auf dem Laufsteg wird die Live-Musik ein letztes Mal geprobt. Kameraleute und Fotografen wuseln umher. Näherinnen sind mit den allerletzten Änderungen beschäftigt. Wir setzen uns auf zwei Klappstühle vor einem Bügelbrett. Sie tippt kurz etwas in ihr Handy. Das Undefinierbare an ihr versprüht einen gewissen Zauber, man will immerzu hinsehen. In einer halben Stunde soll die Show losgehen. Nervös ist Tamy nicht.
«Ich bin es ja nicht, die sich lange auf diesen Moment vorbereitet hat, das ist viel mehr die Crew. Ich laufe einfach und freue mich sehr darauf. Kurz davor beim Line Up mit den anderen Models, da bin ich dann schon jeweils sehr nervös.»
Ich bin keine Konkurrenz für die weiblichen Models. Jemand der mich bucht, hielt nie Ausschau nach einer jungen, blonden klassischen Schönheit. Das wissen die so gut wie ich.
«Und auf deren Typen steh ich auch nicht», sagt sie und lächelt.
Und bei den Männern sei es ähnlich entspannt. «Da gehör ich irgendwie dazu.» Als Frau zu laufen sei für sie immer ein bisschen schwieriger, sagt sie. «In eine Frau muss ich mich eher hineinversetzen, um ihre Bewegungen authentisch rüberzubringen.» Und sie fügt an: «Bei den Typen passiert es mehr so naturally.» Ihre Sprache ist jung, gespickt mit englischen Wörtern. Ihren Job bezeichnet sie als «No-Brainer». Interviews mag sie am liebsten, wenn sie «deep» sind. Und manchmal fände sie es schon auch «nice», nicht so oft alleine im Hotelzimmer zu sein. Bevor es dazu kommt, dass ich mich hinterfrage, warum ich mir jetzt überlege, wo wohl ihr Hotel ist, geht sie weg.
Sie muss los, und ich setze mich zum gemeinen Publikum.
Fest geglaubte Grenzen verwischen
Es wird dunkel und die deutsche Band Rakede beginnt zu spielen, während die Models defilieren. Über einen Reggaebeat singt ein junger Mann: «Ich jag den Sternen hinterher in einer Welt, die du nicht kennst. Vielleicht versteh’ ich auch zu wenig von der Welt, durch die du rennst. Vielleicht ist gut so wie es ist und du bist von nem andern Stern.»
Derweil schreitet Tamy über den Laufsteg. Neben mir reden zwei Männer über sie. «Ist das n Typ oder ne Olle?», fragt der eine unnötig laut. Nach eingehender Betrachtung von Tamys Auftritt antwortet der andere Mann: «Ist mir egal. Knaller!» Und ich denke: Man kann von einer Fashion Week halten, was man will. Ob es Sinn macht, auf den Verkehrsknotenpunkt am Brandenburger Tor ein Zelt zu stellen und darin mehr oder minder berühmten Menschen mehr oder minder taugliche Mode vorzuführen. Wenn aber eine Show, eine Kollektion oder ein Model dazu beiträgt, einem solchen Anlass dazu zu verhelfen, dass sich fest geglaubte Grenzen in Köpfen verwischen, ist das Existenzberichtigungsgrund genug.